: Arnon Grünberg
: Amour fou
: Diogenes
: 9783257602081
: 1
: CHF 15.00
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 336
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Auf der Suche nach der Amour fou begegnet der junge Philosophiestudent Marek van der Jagt in seiner Heimatstadt Wien Andrea und Milena. Er hofft, dass die Touristinnen aus Luxemburg ihn in die Geheimnisse der Liebe einweihen. Mareks Bruder Pavel erlebt eine wunderbare Nacht, doch Marek selbst macht eine frustrierende Entdeckung.

Arnon Grünberg, geboren 1971 in Amsterdam, lebt und schreibt in New York. Neben allen großen niederländischen Literaturpreisen erhielt er 2002 den NRW-Literaturpreis für sein Gesamtwerk. Neben seinen literarischen Arbeiten verfasst Arnon Grünberg einen täglichen Blog und ist in den Niederlanden bekannt für seine Kolumnen und Reportagen.

Ich bin früh kahl geworden. Daß es irgendwann dazu kommen könnte, war nicht ausgeschlossen, aber daß es so schnell gehen würde, war doch eine Überraschung.

Dies ist die Geschichte meiner Kahlheit, und ich habe nicht vor, nach diesem Buch auch nur ein einziges weiteres Wort zu Papier zu bringen.

Es gibt Schriftsteller, die nur eine einzige Geschichte in sich tragen; sie schreiben über den Krieg, eine fürchterliche Krankheit oder eine verschwundene Tochter, die nach vier Jahren in einem Brunnen entdeckt wird. Im Vergleich dazu nimmt sich die Geschichte meiner Kahlheit eher bescheiden aus. Doch auch kleine Geschichten können bedeutsam sein.

 

Mama war eine kühle Frau von Welt, die armen Leuten viel Gutes tat, jedoch niemals ohne ihren Koffer mit Diamanten verreisen konnte.

Sie starb genau drei Wochen nach meinem achtzehnten Geburtstag.

Kaum ein Jahr danach war mein Papa wieder verheiratet; seine neue Frau hieß Eleonore.

Papa war nicht so von Welt. Er aß wie ein Schwein, auch bei offiziellen Anlässen, was Mama ihm nie verzeihen konnte. Vielleicht verdächtigte sie ihn heimlich, daß er sie vor allem wegen des guten Rufs ihrer Familie geheiratet hatte und auch ein wenig wegen ihres Geldes. Papa hat jahrelang geschuftet, um diesen Verdacht zu zerstreuen, doch Mama sagte: »Wenn ich deinen Vater sehe, rieche ich die Armut.«

Eleonore hatte schon zwei Männer verloren, den ersten bei einem Autounfall, den zweiten durch Krebs. Nach dem Tod ihres zweiten Mannes war sie vom Schmerz so überwältigt, daß sie beschloß, viel Geld zu machen. Das tat sie auch. Und darüber, wie sie das viele Geld gemacht hatte, schrieb sie ein Buch mit dem Titel:Wie alte Frauen reich werden können.

Es wurde ein sagenhafter Erfolg. Nicht nur in Deutschland, der Schweiz und in Österreich, auch in vielen anderen Ländern.

Mindestens dreimal im Monat sagte sie: »Es gibt schon wieder eine neue Auflage, was für ein Erfolg, Marek, was für ein wahnsinniger Erfolg!« Damit rief sie mir meine eigenen, gescheiterten Schreibambitionen in Erinnerung.

Papas Freunde sahen in Eleonores Reichtum den Beweis, daß er nur reiche Frauen lieben konnte, doch in Wahrheit hatte er sich selbst schon ein ordentliches Vermögen zusammenverdient, als er sie kennenlernte.

An dem Tag, als er zum zweiten Mal heiratete, tanzte er mit Eleonore Walzer und flüsterte mir ins Ohr: »Die besten Ehen sind Vernunftehen, Marek. Leidenschaft ist was für hysterische Fr