: Bertrand Russell
: Philosophie des Abendlandes
: Europa Verlag GmbH& Co. KG
: 9783958904637
: 1
: CHF 24.50
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: Allgemeines, Lexika
: German
: 864
: Wasserzeichen
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: ePUB
'Die Philosophie des Abendlandes' wurde während des Zweiten Weltkriegs geschrieben. Die Grundlagen dafür entstammten einer Vorlesungsreihe über die Geschichte der Philosophie, die Bertrand Russell zwischen 1941 und 1942 an der Barnes Foundation in Philadelphia hielt. Das berühmte Standardwerk des Nobelpreisträgers für Literatur bietet eine Einführung in die westliche Philosophie von den Vorsokratikern bis ins frühe zwanzigste Jahrhundert. Es ist in drei Bücher unterteilt: die Philosophie der Antike, die katholische Philosophie und die Philosophie der der Neuzeit. Bertrand Russell hat es sich zum Ziel gesetzt die Philosophie des Abendlandes im Zusammenhang mit ihren politischen und gesellschaftlichen Grundlagen begreifbar zu machen. Seine Darstellungen der einzelnen Epochen sind immer mit der Reflexion ihrer politischen und gesellschaftlichen Entstehungsbedingungen, mit eigenen Gedanken und Interpretationen verbunden; seine Schilderungen der großen Denker der abendländischen Kultur beziehen auch ihr Milieu, ihre Zeit- und Lebensumstände mit ein. Es war nicht zuletzt dieses Werk, das ihm dank seiner klassisch-schönen Sprache 1950 den Nobelpreis für Literatur eingebracht hat.

Bertrand Russell, geb. 1872 bei Trellech, gest. 1970 in Penrhyndeudraeth, war ein britischer Mathematiker, Religionskritiker, Philosoph und Logiker. Er studierte Mathematik und Philosophie an der Universität Cambridge. Zusammen mit Alfred North Whitehead veröffentlichte er die Principia Mathematica, eines der bedeutendsten Werke des 20. Jahrhunderts über die Grundlagen der Mathematik. Er unterrichtete unter anderem am Trinity College der Universität Cambridge, der London School of Economics, der Harvard University und der Peking-Universität und war Mitglied der Cambridge Apostles. Zusammen mit George Edward Moore gilt Bertrand Russell als einer der Begründer der Analytischen Philosophie. Mit seiner Kennzeichnungstheorie, in der er die Philosophie einer idealen Sprache vertrat, leistete er einen wichtigen Beitrag zur Sprachphilosophie. Bertrand Russell war Atheist und Rationalist. Er beschäftigte sich seit seiner Jugend mit gesellschaftlichen und politischen Themen, setzte sich unter anderem für das Frauenwahlrecht und soziale Gerechtigkeit ein. Als weltweit bekannter Aktivist für Frieden und Abrüstung galt er als eine Leitfigur des Pazifismus. So verfasste er 1955 zusammen mit Albert-Einstein das Russell-Einstein-Manifest über die Gefahren von nuklearen Waffen und die Verantwortung von Wissenschaft und Forschung und griff 1962 in die Kuba-Krise ein, indem er an Chruschtschow appellierte. 1963 gründete er die Bertrand Russell Peace Foundation, die sich für Frieden und Menschenrechte einsetzt. Er veröffentlichte eine Vielzahl von Werken zu philosophischen, mathematischen und gesellschaftlichen Themen und erhielt 1950 den Nobelpreis für Literatur.

I. TEIL


Die Vorsokratiker


1. KAPITEL


Der Aufschwung der griechischen Kultur


In der ganzen Weltgeschichte ist nichts so überraschend oder so schwer erklärlich wie das plötzliche Aufblühen der Kultur in Griechenland. Vieles, was zum Begriff der Kultur gehört, hatte es schon Jahrtausende zuvor in Ägypten und Mesopotamien gegeben; seither hatte es sich in den benachbarten Ländern ausgebreitet. Aber gewisse, bislang fehlende Elemente trugen erst die Griechen dazu bei. Was sie im Reich der Kunst und Literatur geschaffen haben, ist allgemein bekannt; was sie jedoch auf dem Gebiet des reinen Denkens leisteten, ist ganz einzigartig. Sie erfanden die Mathematik1, die Naturwissenschaft und die Philosophie; sie schrieben zum erstenmal Geschichte anstelle bloßer Annalen; frei von überkommenen orthodoxen Anschauungen stellten sie Betrachtungen an über das Wesen der Welt und den Sinn des Lebens. Das Ergebnis war so verblüffend, daß sich die Menschen bis in die jüngste Zeit hinein damit begnügten, zu staunen und sich in mystischen Reden über den griechischen Genius zu ergehen. Es ist jedoch möglich, die Entwicklung Griechenlands in wissenschaftlichen Begriffen zu verstehen, und überdies ist es durchaus der Mühe wert.

Die Philosophie beginnt mit Thales; er ist glücklicherweise zeitlich zu bestimmen, weil er eine Mondfinsternis voraussagte, die nach Angabe der Astronomen in das Jahr 585 v. Chr. fiel. Philosophie und Wissenschaft – ursprünglich nicht voneinander getrennt – entstanden demnach gemeinsam zu Beginn des sechsten Jahrhunderts. Was hatte sich in Griechenland und den angrenzenden Ländern vor diesem Zeitpunkt zugetragen? Jede Antwort wird sich zumindest teilweise auf Mutmaßungen stützen; dank der Archäologie wissen wir jedoch im gegenwärtigen Jahrhundert bedeutend mehr davon als unsere Großväter.

Die Schreibkunst wurde in Ägypten um das Jahr 4000 v. Chr., in Mesopotamien wenig später erfunden. In beiden Ländern begann man zu schreiben, indem man bildlich darstellte, was es auszudrücken galt. Diese Zeichen wurden bald so gebräuchlich, daß Worte durch Ideogramme wiedergegeben wurden, wie es heute noch in China geschieht. Im Laufe von Jahrtausenden entwickelte sich dieses schwerfällige System zur alphabetischen Schrift.

Ägypten und Mesopotamien verdankten die frühe Entfaltung ihrer Kultur dem Nil, dem Tigris und Euphrat, die den Ackerbau sehr erleichterten und ertragreich machten. Die Kultur ähnelte in vieler Hinsicht der, welche die Spanier in Mexiko und Peru vorfanden. Da gab es einen göttlichen, mit despotischen Machtbefugnissen ausgestatteten König; in Ägypten gehörte ihm das ganze Land. Es gab eine polytheistische Religion mit einem höchsten Gott, zu dem der König in besonders enger Beziehung stand. Es gab eine Militär-Aristokratie und daneben eine Priester-Aristokratie. Diese Kaste maßte sich oftmals Eingriffe in die Rechte des Königs an, wenn der König schwach oder in einen schwierigen Krieg verwickelt war. Der Boden wurde von Sklaven bearbeitet, die Leibeigene des Königs, der Aristokratie oder der Priesterschaft waren.

Zwischen der ägyptischen und der babylonischen Religi