Einleitung
Regeneration ist möglich
»Wenn Sie ein Dichter sind, werden Sie klar erkennen, dass in diesem Blatt Papier eine Wolke schwebt. Ohne eine Wolke gibt es keinen Regen; ohne Regen können die Bäume nicht wachsen; und ohne Bäume können wir kein Papier herstellen. Die Wolke ist notwendig, damit das Papier existieren kann. Wenn die Wolke nicht da ist, kann auch das Blatt Papier nicht da sein. Wir können also sagen, dass die Wolke und das Papier voneinander abhängig sind. ›Interbeing‹ ist ein Wort, das noch nicht im Wörterbuch steht, aber wenn wir die Vorsilbe ›inter‹ (›zwischen‹) mit dem Verb ›to be‹ kombinieren, haben wir ein neues Verb, inter-be. Ohne eine Wolke können wir kein Papier haben, also können wir sagen, dass es eine Beziehung zwischen Wolke und Papier gibt.«
Thich Nhat Hanh (1926-2022)
Was wäre, wenn die Erde ein einziges großes Lebewesen wäre? Die weltweit größten Urwälder im Amazonas- und Kongobecken, die Unmengen Sauerstoff produzieren, sind dann ihre beiden Lungenflügel. Die Gewässer sind die Blutadern, die ihren Stoffwechsel regulieren; die Flüsse sind die Venen und das unterirdisch fließende Grundwasser die Arterien. Die Haut der Erde ist der Boden, diese hauchdünne Humusschicht, schwarzbraun gefärbt durch den darin enthaltenen Kohlenstoff. Die Bäume und Pflanzen sind die Schweißdrüsen, die Wasser verdunsten, die Haut damit kühlen und den Kreislauf aufrechterhalten.
Jetzt, in Zeiten der Klimakrise, hat der Planet Fieber und die Temperatur steigt. Ein Jahr mit Hitze und Dürre toppt das nächste. Wie der Kabarettist und Klimaaktivist Eckart von Hirschhausen auf einer Kundgebung von Fridays for Future sagte, hat die Erde »Multi-Organversagen« und gehört auf die Intensivstation. Denn sie hat »eine schwere Infektion mit Homo sapiens und anderen Rindviechern«.
Das RindviehHomo sapiens, auch Menschheit genannt, hat seine Heimat durch die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen so zerstört, dass ihre Heilung fast aussichtslos erscheint. Das Fieber wurde zweifellos durch die Verbrennung der fossilen Energiequellen angeheizt, die Treibhausgase freisetzten. Aber ist das der einzige Grund? Das Fieber wurde auch entfacht durch die Zerstörung der Haut und der Schweißdrüsen – durch die Umwandlung fruchtbarer Muttererde in eine beinah unfruchtbare Substanz, die Versiegelung und Asphaltierung des Bodens, das Niederbrennen und Abholzen der Wälder. Damit verliert die Patientin nach und nach die Fähigkeit, das Fieber selbst herunterzukühlen – mithilfe von Boden, Wasser und Pflanzen. Und wenn sie das nicht mehr kann, wer soll das dann übernehmen?
Viele Forscher und Klimaexpertinnen glauben, dass wir in einem neuen Wetter- und Klimaregime angekommen sind. Seit 2018 fällt in Deutschland und weiten Teilen der Erde Jahr für Jahr weniger Niederschlag als im Durchschnitt, verbunden mit heftigen Hitzewellen. Dieser Trend könnte sich zu beispiellosen Dürren verfestigen, die 10 bis 15 Jahre lang andauern könnten, warnt ein Team vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig.
1 Die Trockenheit in Deutschland und der Hälfte Europas betreffe eine sehr viel größere Fläche als in den 250 Jahren zuvor, schreibt das Forscherteam, das Wetterextreme von 1766 bis 2020 untersuchte. Außergewöhnlich findet es auch, dass die Temperaturen in den Trockenjahren im Schnitt 2,8 Grad höher lagen als zuvor. Dabei hatte es noch nicht einmal 2022 einbezogen, das in Deutschland zu den sonnenreichsten und heißesten Jahren seit Beginn der Wetteraufzeichnungen gehörte.
Die Europäische Dürre-Beobachtungsstelle bestätigte: Die Trockenheit von 2022, die Hitzewellen, riesige Waldbrände, Ernteschäden und schätzungsweise 100.000 Hitzetote verursachte, könnte die schlimmste seit mindestens 500 Jahren gewesen sein. Europaweit litten 47 Prozent aller Flächen an Trockenheit, vor allem am Mittelmeer.
2 Und die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) meldete, dass die Temperaturen in Europa in den vergangenen 30 Jahren mehr als doppelt so stark angestiegen seien wie im globalen Durchschnitt. Alpengletscher hätten zwischen 1997 und 2021 rund 30 Meter an Eisdicke verloren. Europa weise die höchste Temperatur