: François-Henri Désérable
: Mein Meister und Bezwinger Roman
: Rotpunktverlag
: 9783039730087
: 1
: CHF 17.80
:
: Erzählende Literatur
: German
: 216
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Vasco und Tina verfallen einander - dabei will Tina in wenigen Wochen Edgar, den Vater ihrer Zwillinge, heiraten. Was klingt wie eine tausendfach erzählte Dreiecksgeschichte, entpuppt sich bei François-Henri Désérable als charmantes, vor Esprit prickelndes Liebes- und Leseabenteuer. Für Vasco, Bibliothekar der Bibliothèque nationale de France, und Tina, die Schauspielerin, die jeden Morgen zwischen zwei Tassen Kaffee Gedichte von Verlaine und Rimbaud rezitiert, ist die Literatur ein unentbehrliches Liebeselixier. Vasco schreckt nicht einmal vor dem Diebstahl jener Schatulle zurück, in der das Herz von Voltaire aufbewahrt wird, oder vor dem Einsatz des Revolvers, mit dem Verlaine 1873 auf Rimbaud schoss. Nun sitzt Vasco im Gefängnis und der namenlose Chronist dieser Folie à deux, Vascos und Tinas bester Freund, vor dem Untersuchungsrichter. Er soll ihm die Gedichte erklären, die Vasco über seine Liebe zu Tina geschrieben hat. Der Freund versteht Vascos Anspielungen und erzählt dem Richter viel über die Form von Sonetten und Haikus. Doch die ganze Wahrheit über Vasco und Tina enthüllt er nur den Leserinnen und Lesern. Diese Amour fou macht Lust auf Lyrik, auf Verse wie die von Paul Verlaine, die dem Roman den Titel geben: »Ist voller Spott dein Herz, ist es empfindsam, sachte? Nichts weiß ich, doch ich danke der Natur die mir dein Herz zum Meister und Bezwinger machte.«

François-Henri Désérable, 1987 in Amiens geboren, war zehn Jahre lang professioneller Eishockeyspieler. Nach ersten Novellen erschienen 2015 und 2017 seine Romane Évariste und Un certain M. Piekielny. Der zweite Roman, eine Hommage an den Schriftsteller Romain Gary, wurde in ein Dutzend Sprachen übersetzt. Auf Deutsch erschien er unter dem Titel Ein gewisser Monsieur Piekielny 2018 bei C.H.Beck. Für seinen jüngsten Roman Mon maître et mon vainqueur wurde François-Henri Désérable 2021 mit dem Grand prix du roman de l'Académie française ausgezeichnet.

3


Schweigen. Von Tina habe ich als Erstes ein Schweigen gehört. Sie war eines Morgens im Radio eingeladen, um Werbung für ihr Theaterstück zu machen, der Moderator hatte sie gerade gefragt, ob das Theater die Wirklichkeit nur abbilde oder ob es sie transzendiere, um etwas Universelles zu erreichen, eine Frage, auf die man meistens nur eine abgedroschene Antwort erhält – nicht so bei Tina, die beschlossen hatte,wirklich darüber nachzudenken, als würde sie innerlich jedes ihrer Worte abwägen.

Ergebnis: Stille, eine lange Stille, die der Moderator füllte, so gut er konnte, indem er noch mal die Uhrzeit sagte (9:17 Uhr), den Namen des Senders und den seines Gastes, ihr Alter (achtundzwanzig), ihren Beruf (Schauspielerin), dann den Titel des Stückes(Zweieinhalb Tage in Stuttgart), in dem sie eine Hauptrolle spielte und das ihr eine Molière-Nominierung eingebracht hatte (als beste Nachwuchsdarstellerin), und schließlich, worum es darin ging (die letzte Begegnung zwischen Verlaine und Rimbaud, die zweieinhalb Tage, die sie im Februar 1875 zusammen in Stuttgart verbracht hatten), bevor er seine Frage anders formulierte (also, das Theater – Mimikry oder Mimesis?).

Ich war zu Hause, im Bad, das Radio stand auf der Waschmaschine, ich putzte mir die Zähne und konnte deutlich das Reiben der Borsten auf dem Zahnschmelz hören, ich konnte hören, wie der dünne Wasserstrahl rann und vor allem, vor allem Tinas Schweigen, ja, ich hörte Tinas Schweigen, und ich dachte, man sollte eine Typologie des Schweigen