ZWEI
Mit der Straßenbahn fuhren sie die Mariahilfer Straße hoch bis zur Gumpendorfer Straße, wo die Filmfirma Listo ihren Sitz hatte. Listo war vor sechs Jahren vom jüdischen Kaufmann Heinrich Moses Lipsker und dem Zigarettenhülsenfabrikanten Adolf Stotter gegründet worden. Der Name setzte sich aus den Initialen der beiden Besitzer zusammen. Obwohl es für viele Filmfirmen aufgrund der starken Konkurrenz aus Übersee immer schwieriger wurde zu überleben, gelang es Listo, sich weiterhin am Markt zu behaupten. Das Unternehmen verfügte über ein gut ausgebautes Atelier. Listo setzte auf Filme, in denen die jüdische Identität eine tragende Rolle spielte. »Der verbrannte Jude« oder »Die gekreuzigt wurden« hatten zahlreiche Zuschauer in die Lichtspieltheater gelockt. Mit dem Rosenkavalier wollte man Operette und Film würdig miteinander verbinden. Gedreht werden sollte im Studio in der Gumpendorfer Straße, im Schlosstheater in Schönbrunn und an Schauplätzen in Niederösterreich. Für die aufwendige Produktion wurden weder Kosten noch Mühen gescheut. Die Premiere würde in der Semperoper in Dresden stattfinden mit Beteiligung eines großen Orchesters. Mit all diesen Informationen fütterte Ernestine Anton, während sie neben ihm auf der hölzernen Bank saß.
Die Bim hielt nur wenige Meter vom Filmgebäude entfernt. Es war ein dreistöckiger rotbrauner Backsteinbau mit einer frisch renovierten Fassade und einem verglasten Dachgeschoß, wo sich die Studios befanden. Vor dem Eingang des Gebäudes hatte sich eine lange Schlange Wartender gebildet. Menschen in allen Altersgruppen hofften darauf, eingelassen zu werden. Ernestine und Anton reihten sich am Ende ein.
»Gibt es hier etwas gratis?«, fragte Anton. Seine Laune sank auf einen Tiefpunkt. »Es kann Stunden dauern, bis wir drankommen.«
»Aber nein«, beruhigte ihn Ernestine. »Sieh nur, die Menschen geben ihre Einladungen ab und gehen ins Gebäude. Ich bin so aufgeregt. Wie es wohl im Inneren aussehen wird?«
Sie drückte Antons Hand. Sosehr er sich auch bemühte, seine Begeisterung hielt sich in Grenzen.
»Haben Sie auch eine Einladung bekommen?« Die junge Frau, die sich hinter ihnen anstellte, wirkte gehetzt. Sie hatte einen hochroten Kopf, ihr orange gefärbtes Haar hatte sich unter ihrem Hut gelöst und hing ihr strähnig ins schmale Gesicht. Sie schien das letzte Stück des Weges gelaufen zu sein.
»Ja«, sagte Ernestine.
»So ein Glück«, schnaufte die Frau. »Ich hatte schon Angst, dass ich zu spät bin.« Sie verzog entschuldigend den hübschen Mund. »Wäre nicht das erste Mal, dass ich einen Termin verschlafe.«
»Haben Sie schon öfter als Statistin gearbeitet?«, erkundigte sich Ernestine.
Die Frau lachte und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich kann gar nicht mehr mitzählen.«
»Wirklich?« Ernestines Augen weiteten sich in Bewunderung.
Die Frau nickte. »Jedes Mal hoffe ich, dass ich diesmal entdeckt werde. Ich bin Schauspielerin und trete in kleinen Rollen im Carltheater auf. Aber mein großer Traum ist der Film. Leider hilft es hier nichts, wenn man eine klare Artikulation und eine kräftige Stimme hat. Beim Stummfilm ist ausdrucksstarke Mimik gefragt.«
»Nun, vielleicht gelingt es e