Kapitel 1
Der Grund des Sees schmeckte nach Schlamm, Salz und Reue. Das Wasser war sehr trüb, und es war eine Qual, die Augen offen zu halten, aber ich danke den großen Göttern, dass ich es tat. Denn sonst hätte ich den Drachen nicht gesehen.
Er war kleiner, als ich mir Drachen vorgestellt hatte, ungefähr so groß wie ein Ruderboot, und er hatte funkelnde rubinrote Augen und Schuppen, so grün wie reinste Jade. Mit den gigantischen Kreaturen, die ganze Kriegsschiffe verschlingen konnten, wie es in den Legenden über Drachen behauptet wurde, hatte er also nicht das Geringste gemein.
Er schwamm näher heran, bis seine runden roten Augen so dicht vor mir waren, dass ich mich darin spiegeln konnte.
Er schaute mir beim Ertrinken zu.
Hilfe, bettelte ich. Mir war die Luft ausgegangen, und ich hatte nur noch eine knappe Sekunde, bis meine Welt zusammenschrumpfen und mein Leben zu Ende sein würde.
Der Drache betrachtete mich und hob seine federartige Augenbraue. Einen Moment lang wagte ich zu hoffen, dass er mir helfen würde. Aber er legte seinen Schwanz um meinen Hals und quetschte das letzte bisschen Atemluft aus mir heraus.
Und es wurde schwarz um mich.
Rückblickend betrachtet hätte ich meinen Zofen besser nicht erzählt, dass ich in den Heiligen See springen wollte. Ich sagte es ihnen auch nur, weil die Hitze an diesem Morgen schier unerträglich war. Sogar die Chrysanthemenbüsche waren verwelkt und die Milane segelten stumm über die Zitronenbäume hinweg. Zu ausgedörrt waren ihre Kehlen. Ganz abgesehen davon, dass ein Bad im See mir als absolut vernünftige Alternative zu meiner Verlobungsfeier erschien – die ich gern als das trostlose Ende meiner Zukunft bezeichnete.
Leider glaubten die Zofen mir, und die Nachricht verbreitete sich schneller als Dämonenfeuer bis zu meinem Vater. Nur Minuten später sandte er einen meiner Brüder mit einem Gefolge streng dreinblickender Wachen aus, um mich abzuholen.
Hier war ich also und wurde am heißesten Tag des Jahres über die unzähligen Flure des Palasts geführt. Dem trostlosen Ende meiner Zukunft entgegen.
Während ich meinem Bruder einen weiteren sonnendurchfluteten Flur entlang folgte, zupfte ich an meinem Ärmel herum und tat so, als wollte ich ein Gähnen verbergen, damit ich unauffällig einen Blick hineinwerfen konnte.
»Hör auf zu gähnen«, tadelte Hasho mich.
Ich ließ den Arm sinken und gähnte noch einmal. »Wenn ich sie alle jetzt schon rauslasse, muss ich es später nicht vor Vater tun.«
»Shiori …«
»Lass du dich mal im Morgengrauen wecken und dir mit tausend Strichen die Haare bürsten«, entgegnete ich. »Versuch du doch mal, in Bergen von Seide herumzulaufen.« Ich hob die Arme, aber die Ärmel meiner Gewänder waren so schwer, dass ich sie nur mit Mühe oben behalten konnte. »Schau dir diese vielen Stoffschichten an. Ich könnte ein ganzes Schiff damit auftakeln, um über das Meer zu segeln!«
Hashos Mund umspielte die Andeutung eines Lächelns. »Die Götter lauschen dir, liebe Schwester. Beklag dich nur weiter so und dein Verlobter bekommt für jedes Mal, wenn du es ihnen gegenüber an Achtung fehlen lässt, eine Pockennarbe mehr.«
Mein Verlobter. Jede Erwähnung seiner Person ging mir zum einen Ohr hinein und zum anderen wieder hinaus, und meine Gedanken wanderten zu angenehmeren Dingen. Zum Beispiel dazu, dass ich den Palastkoch beschwatzen könnte, mir sein Rezept für Rote-Bohnen-Paste zu verraten, oder – besser noch – mich auf einem Schiff zu verstecken, das mich über die Taijin-See brachte.
Da ich die einzige Tochter des Kaisers war, hatte ich noch nie irgendwo hinreisen, geschweige denn die Hauptstadt Gindara verlassen dürfen. In einem Jahr würde ich für solche Eskapaden zu alt sein. Und zu verheiratet.
Meine schmachvolle Lage ließ mich laut aufseufzen. »Dann bin ich verloren. Er wird abscheulich aussehen.«
Mein Bruder gluckste und schob mich weiter vorwärts. »Komm jetzt, keine Klagen mehr. Wir sind fast da.«
Ich verdrehte die Augen. Hasho klang allmählich, als wäre er siebzig und nicht siebzehn. Eigentlich mochte ich