1
Das Haus roch nach Putzmittel und angebranntem Toast. Julian hielt den Kopf gesenkt und den Blick starr zu Boden gerichtet; eine Eigenheit, die er sich eigentlich längst abgewöhnt hatte. Nun war der Drang danach plötzlich zurück, das fing ja gut an.
Er zählte die Stufen. Neun, zehn, elf, zwölf. Und noch einmal zwölf bis in die zweite Etage, wo sich sein Zimmer befinden musste.
Seine Tasche wog höchstens zehn Kilo, das meiste hatte er schon vorausgeschickt, nun waren darin nur noch die Dinge, von denen er sich nicht vorab hatte trennen wollen. Vertraute Dinge, die Sicherheit versprachen. Davon gab es nicht sehr viele, deshalb reiste er mit leichtem Gepäck.
»Hey, bist du neu?« Eine weibliche Stimme zu seiner Linken. Helle Sneaker mit roten Schuhbändern, rote Söckchen, die bis zu den Knöcheln reichten. Jeans, ein schlanker, herabhängender Arm, um dessen Handgelenk eine diamantbesetzte Uhr lag. Julians Blick blieb an dieser Uhr hängen. Die musste fake sein.
»Brauchst du Hilfe?«
»Nein danke«, murmelte Julian, den Blick weiterhin gesenkt.
Schau hoch, befahl er sich. Du kannst nicht wieder anfangen, bloß auf Schuhe zu starren. Es ist fast fünf Jahre her, dass zuletzt etwas passiert ist.
»Ich heiße Amelie«, sagte die Stimme. »Du bist sicher Robins neuer Mitbewohner, oder?«
Sie waren oben angekommen, und Julian stellte den Koffer ab. Auch mit gesenktem Kopf konnte er das Mädchen nun bis zur Gürtellinie sehen, die Beine in den Jeans, die seitlich herabhängenden Arme.
Schau hoch, verdammt.
Zögernd hob er den Blick. Sah blaue Augen, Sommersprossen, einen asymmetrisch geschnittenen blonden Schopf. Und eine irritiert in Falten gelegte Stirn, wie so oft.
Er atmete aus und lächelte. »Ich heiße Julian. Und ich soll Zimmer 48 suchen.«
»Sage ich doch.« Das Mädchen deutete in den Gang auf der linken Seite. »Du ziehst bei Robin ein.« Die Art, wie sie den Namen aussprach, ließ Julian denken, dass sie gerne mit ihm getauscht hätte. »Du hast es super erwischt, Robin ist cool, mit ihm wird dir sicher nie langweilig. Aber ich glaube, er ist gerade unterwegs.«
Julian versuchte, sich die Erleichterung nicht anmerken zu lassen. Sein neuer Mitbewohner war nicht zu Hause, das vereinfachte den Start. Ursprünglich hatte er auf ein Einzelzimmer gehofft, aber das gab es in diesem Studentenheim nicht, und er hatte keine Diskussionen vom Zaun brechen wollen. Seine Eltern waren ohnehin dagegen gewesen, dass er auszog. Okay, nein, Mama war dagegen gewesen. »Warte doch noch ein bisschen«, hatte sie gesagt. »Du bleibst doch sowieso in der Stadt, also warum nicht bei uns?«
Weil er irgendwann lernen musste, sich normal in der Welt zu bewegen, das hatte auch Sonja gesagt, in mehr als nur einer Therapiestunde. Der Beginn des Studiums war ein guter Zeitpunkt dafür, das hatte er seinen Eltern versucht, begreiflich zu machen, und wider Erwarten hatte Papa zugestimmt.
»Hier«, sagte Amelie und riss ihn damit aus seinen Gedanken. Sie klopfte an die Tür, und als nach ein paar Sekunden keine Antwort kam, drückte sie die Klinke nach unten.
Julian trat über die Schwelle und stellte seine Tasche in die Ecke. Zwei Betten, mit einem Regal als Sichtschutz dazwischen. Zwei Schreibtische, zwei schmale Kleiderschränke, neben einem davon standen seine Umzugskisten.
Es war ganz offensichtlich der Teil des Zimmers frei geworden, der beim Fenster lag, stellte er erleichtert fest. Das war gut. Er würde überraschenden Besuch nicht sofort vor Augen haben.
»Hier vorne ist Robins Bereich«, hörte er Amelie sagen, wieder mit dieser sehnsuchtsvollen Stimme. »Wenn du möchtest, zeige ich dir auch noch, wo die Küche ist?« Amelie war beim vorderen Schreibtisch stehen geblieben, den Blick auf ein Poster gerichte