Leises Rauschen weckte ihn, aber Wasser war es nicht. Henry drehte den Kopf, um mehr zu erkennen. Er spürte etwas Raues an seiner nassen Wange. Erde? Staub? War er noch immer imWald der magischen Tiere? Er versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Doch alles, woran er sich erinnern konnte, waren Zelpetin und ein großer silberner Wolf. Sie hatten gekämpft. Henry hatte verloren. Und dann … keine Erinnerung mehr.
Henry wischte sich über die Lider. Ein Fehler.
»Autsch!« Sand brannte in seinen Augen, der zuvor an seinen Fingern geklebt hatte.
Mühsam richtete er sich auf.
»Willkommen zurück, mein Freund«, hörte er Zelpetins Stimme, die seine Gedanken durchdrang und sich in ihnen einnistete.
Henry stöhnte gequält.
Irgendetwas stimmte nicht. Ganz und gar nicht.
Mit beiden Händen griff er in den Sand unter sich. Er war staubtrocken.
Schlagartig wurden ihm zwei Dinge klar: Er war nicht mehr imWald der magischen Tiere und er konnte seine Hände nicht sehen!
»Was zum Teufel?« Henry sprang auf. Nur schwer gelang es ihm, einen sicheren Stand zu finden. Er drehte sich im Kreis. »Zelpetin? Bist du da? Was ist hier los?«
»Na, na, na, kein Grund, ausfällig zu werden, mein Junge«, sagte der Parkbesitzer kichernd in Henrys Kopf. Die letzten zwei Jahre hatte Henry ausschließlich für diesen alten Mann gelebt, hatte stets alles gegeben, um ihn zufriedenzustellen. Zoran Zelpetin war nicht bloß seine beste und einzige Chance gewesen, von dieser abgeschiedenen Insel runterzukommen – nein, er war auch derjenige gewesen, auf dessen Seite Henry stehen wollte. Denn Zelpetins Zorn zu spüren bekommen hätte Henry niemals erleben wollen. Zumindest nicht bis vor Kurzem. Bis Sascha und Chloe im Park aufgetaucht waren und all seine Ziele über den Haufen geworfen hatten.
Zum ersten Mal hatte Henry erfahren, wie es sich anfühlte, nicht allein zu kämpfen, gute Freunde zu haben, die für ihn einstanden, egal, was kam. Egal, wie sehr er es auch vergeigt hatte. Die Mädchen hatten Henry von seinem ursprünglichen Vorhaben abgebracht. Und nun war er hier. Völlig aufgeschmissen.
Langsam gewöhnten sich Henrys Augen an das staubige Zwielicht, das ihn umgab. Milchige Sonnenstrahlen sickerten von oben zu ihm herab. Er stand auf einem Berg aus Sand und blickte an sich hinunter – allerdings konnte er seinen Körper nicht sehen.
»Was ist mit mir passiert? Bin ich unsichtbar?« Eine Erinnerung durchzuckte ihn: der Pelz des Wolfs, das magische Objekt, das die Mädchen Zelpetin gestohlen hatten. Der Pelz hatte Sascha und Chloe im magischen Wald unsichtbar gemacht. Trug er ihn jetzt vielleicht? War das der Grund, weshalb er sich nicht sehen konnte?
Henry trat einen Schritt nach vorn, noch einen. Funktionierte alles.
Weit kam er allerdings nicht, denn im nächsten Augenblick erschien vor ihm eine Wand aus Stahl. Er hämmerte dagegen. »Hey, was soll das? Zelpetin? Wo bist du? Lass mich sofort hier raus! Soll das ein Scherz sein?«
»Aber nein, mein Junge. Ich hatte dich gewarnt«, dröhnte die Stimme des Parkbesitzers durch seine Gedanken. Henry wirbelte herum, doch alles, was er sah, waren nackte glatte Wände. Er war vollkommen allein, in einem Gefängnis aus Stahl und Sand.
Verzweifelt ließ er sich auf die Knie sinken. »Ich habe doch alles getan, was du von mir verlangt hast!«, startete er den jämmerlichen Versuch, sich zu verteidigen. Sie wussten beide, dass das eine glatte Lüge war.
Zelpetins Lachen war Antwort genug. »Hältst du mich für vergesslich? Du hast dich mit diesen zwei Gören verbündet. Hast dich mir in den Weg gestellt. Hast mir mein Eigentum geraubt! Glaubst du wirklich, das würde ohne Konsequenzen bleiben?«
Henry schluckte. »Nein. Aber …«
»Was aber?«
»Ich kann es wiedergutmachen. Lass mich hier raus … und wir können über alles reden«, probierte es Henry erneut. Er klang erbärmlich, absolut lächerlich. Niemals würde Zelpetin ihn wieder zurück in seinen geliebten Freizeitpark lassen. Der Parkbesitzer hatte Henry den Auftrag gegeben, seine Augen und Ohren zu sein, überall dort, wo er nicht hinkam. Henry hätte sich in die Herzen und Gedanken der Mädchen einschleichen sollen. Denn es reichte Zelpetin nicht, die Dinge in seinem Reich von außen zu kontrollieren. Nein, er wollte die totale Kontrolle über alles. Und Henry war die perfekte Wahl und durchaus erfolgreich gewesen. Er hatte es geschafft, das Vertrauen der Mädchen zu gewinnen. Es war einfach gewesen. Doch leider war Vertrauen keine Einbahnstraße – genauso wenig wie Freundschaft. Das war Henry nur zu spät klar geworden. Viel zu spät – und nun kassierte er die Rechnung für