Prolog
Robert, acht Jahre alt ...
Zitternd sitze ich in der Ecke der Wohnung, presse mir die Hände auf die Ohren und versuche, die schrecklichen Geräusche in unserem Gebäude auszublenden. Mein Magen grummelt laut und erinnert mich daran, dass ich schon ewig nichts mehr gegessen habe. Ich wünschte, ich könnte den Hunger ausblenden. Eigentlich sollte ich schon daran gewöhnt sein, denn ich habe nicht oft etwas zu essen, aber das bin ich nicht. Vielmehr habe ich vergessen, wie es sich anfühlt, satt zu sein. Manchmal werde ich nur durch die Kälte im Raum abgelenkt und denke dann nicht nach, wie hungrig ich bin. Damit ich nicht fröstle, versuche ich, eine stinkende Decke um mich zu wickeln. Immer wieder frage ich mich, warum das alles so ist. Ich bin mir sicher, dass es Kinder gibt, die ihr Leben genießen. Ich tue es nicht.
Meine Mom schläft in ihrem Bett. Das tut sie jetzt schon seit Tagen. Als ich ihr Gesicht angegriffen habe, war sie kalt. Daher habe ich Decken auf sie gelegt. Bis jetzt ist sie noch nicht aufgewacht und fühlt sich auch nicht wärmer an. Ich frage mich, ob sie jemals wieder aufwachen wird. Dieser Gedanke sollte mich eigentlich traurig machen, tut er aber nicht. Mom war nie nett zu mir, und ich träume schon lange davon, hier weggebracht zu werden. Zum Weglaufen war ich zu feige, also bin ich geblieben. Ob jetzt die Zeit gekommen ist, mutig zu sein? Einfach aufstehen und gehen. Irgendetwas muss ich schließlich tun. Ewig kann ich nicht hierbleiben.
Plötzlich ist im Haus ungewohnter Lärm zu hören. Es ist laut und erinnert mich an die paar Male, als in der Vergangenheit die Polizei gekommen ist. Ich verlasse meinen Platz in der Ecke und verkrieche mich unter dem Tisch, auch wenn das bei einer Schießerei nicht viel Schutz bietet. Die zerfledderte alte Decke nehme ich mit und ziehe sie mir über den Kopf. Keine Ahnung, vor wem ich mich verstecke. Wahrscheinlich ist es wieder irgendein Mann, der Mom besuchen und bei ihr übernachten will. Der letzte hat mich mit Zigaretten verbrannt. Vielleicht hat dieser etwas zu essen dabei oder gibt mir etwas zur Ablenkung.
Die Tür wird mit Gewalt geöffnet. Ich unterdrücke einen Schrei, schließe die Augen und hoffe, dass Moms Besucher schnell wieder verschwindet. Da höre ich Schritte in dem Zimmer, in dem ich mich versteckt habe.
»Die Frau?«, fragt ein Mann.
»Schon mindestens ein paar Tage tot«, antwortet ein anderer.
»Sieht nach einer Überdosis aus.«
»Denkst du dasselbe, was ich denke?«
»Scheint mir auch so.«
Durch ein Loch in meiner Decke kann ich schwere Stiefel auf mich zukommen sehen.
»Hey Kleiner.« Die Stimme ist tief und doch ruhig, aber ich traue mich nicht, aus meinem Versteck herauszukommen.
»Keine Angst, ich tue dir nichts. Ich will dir helfen.« Obwohl ich mich nicht bewege, wartet er ab. Langsam werde ich neugierig und spähe vorsichtig an dem Stoff vorbei, ehe ich die Decke ganz zurückziehe. Vor mir steht ein riesiger Mann in einer schwarzen Lederjacke mit Tattoos an den Händen. Er sieht aus wie einer der Biker, die Mom immer besuchen, doch sein Lächeln wirkt weder fies noch unheimlich.
»Hallo«, flüstere ich.
»Wie ist dein Name?«
»Meine Mom nennt mich J.«
Er nickt.
»Ist das eine Abkürzung für etwas?«, fragt er weiter.
Ich zucke mit den Schultern. »Mom nennt mich einfach J«, antworte ich leise.
»Ich bin Nico Mayson. Du brauchst keine Angst