PROLOG
Anushka Reddy blickte sich in der luxuriösen Kabine des Privatjets um, ohne ihre Umgebung richtig wahrzunehmen. Mit ihren vierzehn Jahren gelang es ihr kaum, sich auf irgendetwas zu konzentrieren, denn vor Aufregung hatte sie tausend Schmetterlinge im Bauch. Sie war auf dem Weg zu ihren Großeltern und ihren Halbschwestern und freute sich schon unbändig darauf, zum siebten Mal die Sommerferien auf dem großen Anwesen in Kalifornien zu verbringen.
Bei diesem Gedanken überfielen sie prompt Schuldgefühle. Nicht dass sie ihre Mutter und ihr abenteuerliches Leben mit ihr nicht geliebt hätte. Als weltbekannte Künstlerin und Umweltaktivistin bereiste ihre Mom die ganze Welt, manchmal um ihre Werke auszustellen, meistens jedoch auf der Suche nach Inspiration. Und das bedeutete, dass Nush in ihrem Leben schon viel gesehen hatte.
Aber ihre Mutter war oft auch gedankenverloren und launisch und hatte lange depressive Phasen. Und wenn sie in diesem Tief war, wurde sie vergesslich. Dann versäumte sie es, die Lebensmittelvorräte aufzustocken, Klamotten und Schulbücher für Nush zu kaufen oder darauf zu achten, dass Nush genug Zeit draußen mit Gleichaltrigen verbrachte.
Aus diesem Grund hatte sich Nush immer nach einem beständigen Zuhause und einer richtigen Familie gesehnt. Nach so einer Familie wie ihre beiden Halbschwestern sie hatten, die bei ihren Großeltern väterlicherseits in Kalifornien aufwuchsen. Ihr gemeinsamer Vater, ein alkoholkranker ehemaliger Künstler, hatte ein abenteuerliches Liebesleben geführt. Was dazu führte, dass Nush, Yana und ihre älteste Schwester Mira alle verschiedene Mütter hatten …
Ihre Mom hatte Nush den Kontakt zur Familie ihres Vaters nie verwehrt, doch der Abschied von ihrer Tochter war ihr dieses Mal sehr schwergefallen. Unter Tränen hatte sie dem armen Mann, der Nush im Auftrag der Großeltern abholte, einen endlos langen Vortrag über Sicherheitsvorkehrungen und Erziehungsfragen gehalten.
Dieser Mann, der das alles erstaunlich langmütig, ja freundlich hingenommen hatte, war aber kein anderer als …
Caio Oliveira.
Nush schob ihre Brille hoch und musterte ihn unauffällig von der Seite.
Caio, im Leben ihrer Großeltern eine Konstante, stammte aus Brasilien, wo er in seiner Jugend ein herausragender Fußballspieler gewesen war. Heute war er ein Programmiergenie und die rechte Hand ihres Großvaters. Nush hatte ihn bisher immer nur hinter Miras Rücken versteckt von fern beobachtet! Aber in die Sonne schaute man ja auch nur aus weiter Ferne …
Dafür sah sie ihn jetzt umso deutlicher. Er war hochgewachsen, breitschultrig, mit einer Haut, die tiefgolden schimmerte wie bei einem Gott aus den mythischen Universen in ihrem Lieblingsvideospiel. Die unter dichten schwarzen Augenbrauen liegenden hellbraunen, goldgefleckten Augen, die zu viel zu sehen schienen, glitzerten gefährlich intelligent. Sein leicht gewelltes Haar glänzte tiefschwarz und seine Kinnpartie wirkte wie gemeißelt. Dieser Mann ist unfassbar viril, dachte sie und lauschte innerlich dem interessanten Wort nach, das sie irgendwann bei Yana aufgeschnappt hatte.
Auf Nush wirkte er wie der geborene Anführer!
Eine andere Art, ihn zu beschreiben, gab es nicht. Schon gar nicht für sie, eine bebrillte, von Akne geplagte schlaksige Teenagerin, die nicht wusste, was sie mit ihren Armen und Beinen oder ihren jetzt offenbar wild gewordenen Hormonen anstellen sollte.
Das war etwas Neues für Nush, so plötzlich von ihren Gefühlen überwältigt z