: Maximilian Krämer
: Idealismus und Entfremdung - Adornos Auseinandersetzung mit Kierkegaard
: Walter de Gruyter GmbH& Co.KG
: 9783111012094
: Deutsche Zeitschrift für Philosophie / SonderbändeISSN
: 1
: CHF 108.30
:
: Philosophie
: German
: 373
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB

Adorno und Kierkegaard trennen Welten. Dennoch hat sich der kritische Theoretiker der Gesellschaft zeitlebens intensiv mit dem religiösen Schriftsteller und Vater der Existenzphilosophie aus dem 19. Jahrhundert beschäftigt. Das vorliegende Buch untersucht die vielfältigen Motive dieses spannungsvollen Verhältnisses, von der Soziologie der Innerlichkeit bis zur Ästhetik. Grundlage ist die eingehende Analyse von Adornos Erstlingswerk und anderer Texte über den Dänen. Gleichwohl gilt es, dessen Denken auch in seiner Eigenständigkeit zu berücksichtigen. Denn nur wo beide auf Augenhöhe behandelt werden, lässt sich die Frage nach dem Einfluss Kierkegaards auf Adorno stellen. Eine Antwort ist die Forschung bisher weitgehend schuldig geblieben, entweder weil sie sich die Deutung des Frankfurters zu eigen gemacht, oder diese umgekehrt als verfehlt abgetan hat. Was ihn mit Kierkegaard zugleich verbindet und entzweit, ist die Kritik des Deutschen Idealismus und die Radikalität, mit der das moderne autonome Subjekt als entfremdetes bestimmt wird. Überraschen mag die Erkenntnis, dass sie vor diesem Hintergrund und im Rückgriff auf Kant den Möglichkeitsspielraum individueller Praxis und der Ethik im engeren Sinne durchaus ähnlich bewerten.



Maximilian Krämer, Berlin, Deutschland.

Einleitung


1 Ein schwieriges Verhältnis


„Man fühlt sich fortwährend zum Widerspruch, ja zu leidenschaftlicher Abwehr herausgefordert“1, schrieb Romano Guardini 1927 über Kierkegaard. Und genau das wollte dieser bei den Lesenden auch erreichen: eine nachhaltige Irritation, die dazu führen soll, selbst zu urteilen und „leidenschaftlich“ zu denken. Bei Adorno ist dieser Plan aufgegangen. Seine erste philosophische Publikation,Kierkegaard: Konstruktion des Ästhetischen von 1933, die überarbeitete Fassung seiner Habilitationsschrift, liest sich auf den ersten Blick wie eine Abrechnung mit dem Dänen. Sieht man genauer hin, so erkennt man jedoch, dass ihn gerade jenes Widerständige an Kierkegaard fasziniert. Noch deutlicher zeigt das die Gedenkrede zu dessen 150. Geburtstag. Dort versucht Adorno, Kierkegaard aus der nivellierenden Vereinnahmung zu befreien, die diesem zwischen den Weltkriegen – in der Hochphase seiner Rezeption im deutschen Sprachraum – theologisch, philosophisch aber auch politisch widerfuhr: „Sieg als Niederlage“ (GS 2, 244). Nicht nur wurde Kierkegaard dadurch die Spitze genommen, es ging damit auch der Blick für das unauflösbar Ambivalente bei ihm verloren. Erst so konnten sich einzelne Momente aus jenem Ineinander von Wahrheit und Unwahrheit, das ja zumindest das pseudonyme Werk auch für ihn selbst sein sollte, verselbständigen: „Die Bahn solchen Sieges ist die einer sich entfaltenden Unwahrheit von Kierkegaards Lehrgehalt“ (GS 2, 244). Derartiges kann man Adorno wahrlich nicht vorwerfen. Bei ihm sind vernichtende Kritik und überschwängliche Würdigung oft so ineinander verwoben, dass man den Eindruck bekommt, er widerspräche sich selbst. Damit spiegelt er Kierkegaard bisweilen fast, woran schon abzulesen ist, dass die Auseinandersetzung mit ihm die eigene Methode maßgeblich geprägt hat. Allerdings hat eben das auch zu dem Unverständnis beigetragen, das Adornos Deutung entgegengebracht wurde. Bei beiden besteht die Gefahr, „zwischen den Widersprüchen hängen zu bleiben, die eben das Prinzip dieses ärgerlich dialektischen Denkens sind“ (Deuser 1983, 101).

In der Kierkegaardforschung hat Adornos Interpretation überwiegend entschiedene Ablehnung erfahren, weil sie dem Dänen nicht gerecht zu werden schien. Bisweilen gründet diese Absage aber schon in der an Adorno und die Kritische Theorie selbst2 – womit es nun, was man ja diesem gerade angelastet hat, gar nicht mehr vorrangig um das Verständnis Kierkegaards geht. Dieser Dissens fällt insofern auf den Dänen selbst zurück, als dessen Denken bis heute als konservativ oder reaktionär, wie bei Adorno als „Deckbild von Revolution“ (GS 2, 256), oder gar direkt als revolutionär verstanden bzw. missverstanden wird. Es scheint, dass mit dem Abstand zu jener studentenbewegten Zeit, in der auch Adornos Buch von 1933 in der Theologie (wieder‐)entdeckt wurde, die Abwehr nachlässt und überhaupt die (innertheologische) Kontroverse über die Kritische Theorie weniger angespannt geführt wird. In jedem Fall aber hat Adorno mit ihm, wie HeikoSchulz (2011b, 20 – 21) in seinen Studien zur Rezeptionsgeschichte Kierkegaards feststellt, „nachhaltige[n] Impulse“ geliefert und es haben seine „Anstöße im Kontext einer Diskussion der politischen bzw. sozialethischen Aspekte und Probleme in Kierkegaards Werk bis heute nichts von ihrer provozierenden Stimulanz verloren“. Nun kann ein Denker ohnehin auf ganz verschiedene Weise rezipiert werden.Schulz (2011b, 8 – 15) nennt unter anderem die „produktive Rezeption“. In der Philosophie ist ihm hierfür vor allem Heidegger beispielh