Zweiter Teil 1842 1850
Zweiter Teil 1842 1850
Die Reise von Paris nach Dresden dauerte damals noch fünf Tage mit den dazwischen liegenden Nächten. An der deutschen Grenze bei Forbach gerieten wir in Schnee und raues Wetter, was uns nach dem bereits genossenen Pariser Frühling sehr unfreundlich anwehte. Wirklich wollte uns beim Weiterfahren durch die wiedergewonnene deutsche Heimat vieles gar nicht recht anmuten, und mir fiel ein, dass die französischen Reisenden, welche, wenn sie aus Deutschland zurückkehrten, beim Betreten des französischen Bodens leichter atmend sich die Röcke aufknöpften, als ob sie nun aus dem Winter in den Sommer kämen, doch nicht so ganz unrecht gehabt hätten, da wir im Gegenteil jetzt genötigt waren, uns mit künstlichster Benützung unserer Kleidungsmittel gegen einen empfindlich auffallenden Temperaturwechsel zu schützen. Zur vollständigen Marter ward diese Ungunst der Witterung, als wir auf der Reise von Frankfurt nach Leipzig in den Strom der Messereisenden gerieten, welche die Post um jene Zeit der Leipziger Ostermesse so stark in Anspruch nahmen, dass wir zwei Tage und eine Nacht über bei unausgesetztem Sturm, Schnee und Regen unaufhörlich die schlimmsten Beiwagen wechseln mussten, was diese Reise uns zu einem Abenteuer von fast ähnlicher Gattung, wie unsere frühere Seereise, gestaltete. Einen wirklichen Lichtblick gewährte mir die Begegnung der Wartburg, an welcher wir in der einzigen sonnenhellen Stunde dieser Reise vorbeifuhren.
Der Anblick des Bergschlosses, welches sich, wenn man von Fulda herkommt, längere Zeit bereits sehr vorteilhaft darstellt, regte mich ungemein warm an. Einen seitab von ihr gelegenen ferneren Bergrücken stempelte ich sogleich zum Hörselberg und konstruierte mir so, in dem Tal dahin fahrend, die Szene zum dritten Akt meines Tannhäusers , wie ich sie seitdem als Bild in mir festhielt und später dem Pariser Dekorationsmaler Dépléchin, mit genauer Angabe meines Plans zur Ausführung anwies. Hatte es mich bereits sehr bedeutungsvoll gemahnt, dass ich jetzt erst auf der Heimreise von Paris den sagenhaften deutschen Rhein überschritt, so dünkte es mich eine weissagungsvolle Beziehung, dass ich die so geschicht- und mythenreiche Wartburg eben jetzt zum ersten Mal leibhaftig vor mir sah und war von diesem Eindruck gegen Wind und Wetter, Juden und Leipziger Messe so innig erwärmt, dass ich endlich, mit meiner armen zerschlagenen und erfrorenen Frau glücklich und wohlbehalten wieder in demselben Dresden ankam (12. April 1842), von welchem ich zuletzt in so trauriger Trennung von Minna in mein nordisches Exil ausgezogen war.
Wir stiegen im Gasthof zur Stadt Gotha ab. Die Stadt, in welcher ich so bedeutungsvolle Kinder- und Knabenjahre verlebt, machte unter dem Eindruck trüber, rauer Witterung einen kalten, toten Eindruck auf mich; wirklich schien mir alles, was an meine Jugend mich erinnern konnte, dort erstorben; kein gastliches Haus empfing uns; die Eltern meiner Frau trafen wir in ärmlicher, enger Wohnung und kümmerlichen Verhältnissen, und wir mussten uns sofort nach einer kleinen Wohnung für uns selbst umsehen, welche wir in der Töpfergasse, für sieben Taler monatlich, fanden. Nachdem ich wegen des Rienzi die nötigen Höflichkeitsbesuche gemacht und Minna für meine kurze Abwesenheit versorgt hatte, reiste ich am 15. April sofort nach Leipzig, wo ich seit sechs Jahren zum ersten Mal meine Mutter und Geschwister wiedersah. In dieser für mich so verhängnisvollen Zeit hatte die Mutter durch Rosaliens Tod eine große Veränderung ihrer häuslichen Lage erfahren; sie lebte in einer freundlichen und geräumigen Wohnung nahe der Familie Brockhaus in behaglicher Sorglosigkeit ohne eigentlichen Hausstand, welchem sie früher bei starker Familie so rüstige Sorge jahrelang gewidmet hatte. Die Rührigkeit, ja Heftigkeit ihres Wesens war gänzlich der ihr eigenen Heiterkeit, mit welcher sie sich der Teilnahme an dem Gedeihen der Familien ihrer verheirateten Töchter hingab, gewichen. Das Glück eines so ruhigen und freundlichen Alters verdankte sie größtenteils der herzlich gewogenen Fürsorge ihres Schwiegersohns Friedrich Brockhaus, welchem auch ich hierdurch zu gerührtem Dank mich verpflichtet erkannte. Sie hatte einen großen freudigen Schreck, als sie mich unvermutet ins Zimmer treten sah; jede Bitterkeit war vollkommen zwischen uns gewichen, und sie beklagte sich nur, dass sie mich nicht bei sich haben könnte, statt des verunglückten Goldschmieds, meines Bruders Julius, von dem sie gar nichts rechtes für den Umgang habe. Sie hatte guten Glauben an den Erfolg meiner Unternehmung und fühlte sich in ihren Hoffnungen durch die letzten Voraussagungen der guten Rosalie gestärkt, mit welchen diese, leider so kurz vor ihrem Tod, sich für mich ausgesprochen hatte.
Für jetzt weilte ich jedoch nur wenige Tage in Leipzig, um zunächst nach Berlin zu reisen, wo ich mit dem Grafen von Redern wegen der Aufführung des fliegenden Holländers mich in ein bestimmtes Vernehmen zu setzen hatte.
Friedrich Wilhelm von Redern, * 9. Dezember 1802 in Berlin 5. November 1883
Wie schon angedeutet, hatte ic