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Fünf Minuten Pause. Dr. Joey Ledford saß auf den wackeligen Resten eines Holzstuhls, rauchte eine Marlboro und schwitzte, während der Monsunregen auf das Blechdach der behelfsmäßigen medizinischen Klinik im Flüchtlingslager Fünf der Vereinten Nationen prasselte. Mancherorts führten Ärzte und Krankenschwestern Operationen in sterilen, klimatisierten Räumen durch, die mit allen erdenklichen medizinischen Geräten ausgestattet waren; und in direkter Nähe gab es Lagerbereiche, die zum Bersten gefüllt waren mit wichtigen und vor allem lebensrettenden Medikamenten. Sie hörten Bach, Norah Jones oder Latin Jazz, während sie akribische Schnitte ansetzten und mit großer Sorgfalt Wunden verschlossen, wobei sie sich alle Zeit der Welt nahmen, um es richtig zu machen. Mancherorts glich die Kunst der Medizin in gewisser Weise einer reibungslosen Choreografie, die von gut ausgebildeten Fachkräften in Büros, Kliniken und Krankenhäusern ausgeführt wurde. Mancherorts … doch nur nicht hier.
Ledford atmete aus, und zwei Rauchwolken quollen aus seinen Nasenlöchern. Der Regen war kein sanfter, liebenswerter Gewitterschauer wie damals in Iowa. Anstatt die Saat auf den Feldern sprießen zu lassen, schüttete es hier wie aus Kübeln unerbittlich auf die Erde nieder, als hätte ein wütender Dämon die Bäuche der fetten schwarzen Wolken aufgerissen. Ledford ließ seinen Blick über das weitläufige Lager schweifen, in dem sich Tausende Menschen unter den Unterständen drängten. Bewaffnete Wachen standen am Eingang der Klinik, damit die Leute von ihr fernblieben. Über die Ufer getretene Flüsse und gebrochene Dämme hatten sie aus ihren Häusern vertrieben, und noch immer wurden sie vom Wasser verfolgt.Arme Kreaturen, dachte Ledford.Arme, verfluchte Seelen.
Als er die Zigarette fallen ließ und austrat, bemerkte er, dass die Blutflecken auf seinen schwarzen Gummistiefeln im Laufe des Tages tief in das Material eingedrungen und verlaufen waren, und er konnte sich nicht erinnern, von welchen Patienten das Blut stammte. Er würde es später gründlich abwaschen müssen. Jetzt war die Pause vorbei, und Ledford duckte sich zurück ins Zelt, zurück in die Welt des Elends.
Er wusch sich die Hände in einer Schüssel, streifte Handschuhe über, setzte eine chirurgische Maske auf, zog sich eine frische Schürze an und ging dann zu dem ehemaligen Küchentisch hinüber, der inzwischen einem höheren Zweck diente, nämlich als Operationsfläche. Er war mit Quadraten aus weißem Einwegpapier bedeckt, auf denen ein Mädchen im Säuglingsalter lag und heulte, während eine Krankenschwester eine Infusionsnadel in ihren Arm stach, um einen Zugang für den Tropf zu legen. Die Mutter war ganz in der Nähe und schrie sich die Seele aus dem Leib, was die Qualen ihres einzigen überlebenden Kindes nur noch verstärkte.
»Sieht nach einem weiteren Cholera-Fall aus«, sagte die Krankenschwester. »Sobald Sie den gebrochenen Arm gerichtet haben, beginnen wir mit der Antibiotikatherapie.«
Ledford nickte. »Haben wir eine Krankengeschichte oder Röntgenbilder von ihr?«
»Nein. Sie ist etwa sechs Monate alt, hat Fieber und hustet. Die Schreie sind kraftlos. Die Mutter kam erst heute Morgen im Lager an und meinte, ihre Tochter wäre vor zwei Tagen bei einer Schlammlawine von einem Stein getroffen worden.«
Ledford verschwendete keine Zeit damit, sich über das zu beschweren, was sie nicht wussten, denn sie konnten eh nur mit dem arbeiten, was ihnen zur Verfügung stand. Er war einunddreißig Jahre alt, knappe 1,80 m groß und hatte längliches, dunkles Haar, das ihm bis zum Kragen reichte. Seine Zeugnisse waren tadellos: An der University of Iowa und dann am Carver College of Medicine hatte er Medizin studiert, anschließend die dreijährige Facharztausbildung in der Inneren Medizin an der Mayo Clinic in Minnesota absolviert. Er war bereit gewesen, den nächsten Schritt auf der Karriereleiter zu nehmen, als er beschlossen hatte, eine Auszeit einzulegen, um mehr von der Welt zu sehen. Aber was er dort draußen vorfand, gefiel ihm ganz und