Zum Geleit: Zwischen allen Stühlen – Melbyes schwieriger Weg ins Museum
Hendrik Ziegler
»Nicht erst seit heute kennen wir die Marinen von Monsieur Melbye und bewundern das transparente und flüssige Wasser, das sich mit aller Wahrheit an den Flanken der Schiffe brechen wird. Monsieur Melbye ist ein geliebter Künstler, der nicht allein zu Dänemark gehört, sondern zu Europa und vor allem zu Frankreich.1 Die versierte Bildhauerin, Kunstkritikerin und feministische Schriftstellerin Marie-Noémi Cadiot (1828–1888), die meist noch unter dem männlichen Pseudonym Claude Vignon publizieren musste, beansprucht in ihrer Besprechung der 1855 in Paris ausgetragenen Weltausstellung den Beitrag Anton Melbyes nicht nur für seine dänische Heimat, sondern für Europa, ja für Frankreich. Dabei hatte sich Melbye auf der Pariser Schau mit einem ansonsten von ihm selten praktizierten Genre – dem historischen Seegefecht – präsentiert: einer monumentalen Darstellung des Siegs der dänischen über die schwedische Flotte in der Schlacht in der Køgebucht, die sich am 11. und 12. Juli 1677 zugetragen hatte (vgl. Abb. 213,S. 330). Das Bild – eine Auftragsarbeit des dänischen Königshauses – erinnerte an einen der größten Seesiege Dänemarks über die Schweden. Obwohl es sich im Aufbau an den etablierten Schemata solcher Seegefechtsdarstellungen auf ruhiger See orientierte, wie sie vor allem die niederländische Malerei des 17. Jahrhunderts bereithielt, traf das Gemälde durch seinen martialisch-patriotischen Gehalt den Nerv des französischen Publikums des Zweiten Kaiserreichs. Denn die Weltausstellung in Paris diente Kaiser Napoleon III. nicht zuletzt als Bühne, den expansiven Großmachtanspruch Frankreichs aller Welt vor Augen zu führen. Melbyes Evokation der militärischen Überlegenheit Dänemarks über seinen einstigen Erzrivalen im Ostseeraum ließ sich leicht in Parallele zu Frankreichs Wettlauf mit den imperialen Bestrebungen Großbritanniens bringen, der gerade an Tempo gewann.
Diese Episode beleuchtet schlaglichtartig eines der Leitthemen der vorliegenden Studie: Basierend auf eingehenden Bildanalysen und einer genauen Rekonstruktion der jeweiligen Entstehungs- und Rezeptionszusammenhänge gelingt es Regine Gerhardt, den Drahtseilakt nachvollziehbar zu machen, den es für den in Kopenhagen, Hamburg und Paris arbeitenden und agierenden Marinemaler bedeutet haben muss, seiner kosmopolitischen Grundhaltung gemäß zu leben, ohne dabei seine aufrichtige Anhänglichkeit zu seiner Heimat zu verleugnen.
Seit 1847 hatte Melbye seine Geburtsstadt Kopenhagen gegen die französische Metropole als Lebens- und Arbeitsort eingetauscht. In nur wenigen Jahren hatte er sich von einem Sympathisanten der Revolution von 1848 zu einem hochdekorierten offiziellen Marinemaler Napoleons III. gewandelt. In Paris sollte er bis 1858 bleiben, allerdings unterbrochen durch einen längeren Aufenthalt in Hamburg und vor allem durch eine für ihn prägende Reise an den Bosporus 1853/54. Das Pariser Jahrzehnt brachte Melbye den künstlerischen Durchbruch und den gesellschaftlichen Aufstieg, wodurch er sich in seinem Heimatland allerdings keineswegs nur Freunde machte. 1857 vermählte er sich mit einer Französin, Alice Dupré (1830–1913), mit der er im Jahr darauf zunächst versuchte, wieder in Kopenhagen Fuß zu fassen, um schließlich 1860 Hamburg zu seinen Lebensmittelpunkt zu wählen – frustriert von dem Kopenhagener Zwischenspiel. Selbst wenn er sich in den Folgejahren rege am dänischen Ausstellungsgeschehen beteiligte, blieb Melbye in Hamburg wohnen, um nach dem Deutsch-Französischen Krieg, im Herbst 1871, nach Paris zurückzukehren, wo er 1875 starb.
Trotz aller Nähe zu Frankreich