Kapitel 2
20. Juni 1948 –
Der Sprung ins Ungewisse
Am 5. August 1948 notierte Leonhard Miksch in sein Tagebuch: „Die Eiersache ist wirklich nur ein Witz. Seit die Preise freigegeben sind, könnte man glauben, die deutsche Bevölkerung habe vorher nur von Eiern gelebt. Ich spreche überhaupt einem großen Teil der Leute, die gegen die Marktwirtschaft wettern und hetzen, den guten Glauben ab. Sie entblöden sich nicht, zu behaupten, dass die Arbeiter jetzt schlechter lebten als früher, wobei sie offenbar die bis vor kurzem ausgestoßenen Jammertöne ganz vergessen haben.“1
Der Ökonom Leonhard Miksch arbeitete damals in der Verwaltung für Wirtschaft des Vereinigten Wirtschaftsgebietes – mehr oder weniger die Vorläuferin des späteren Bundeswirtschaftsministeriums. Er war einer der engen Vertrauten des Direktors, Ludwig Erhard, und führte in jenen Jahren ein erhellendes und nicht selten unterhaltsames Tagebuch. Bislang sind seine Aufzeichnungen unveröffentlicht – Sie sind also gewissermaßen Premierengast. Doch was hat es nun mit der „Eiersache“ auf sich? Dafür müssen wir anderthalb Monate im Jahr 1948 zurückspringen.
Vor 75 Jahren, am Sonntag, dem 20. Juni – traut man den historischen Wetterdaten, ein wolkenverhangener Tag mit einzelnen Schauern –, fand in den drei westdeutschen Besatzungszonen die Währungsreform statt. Löhne und Gehälter, aber auch Steuern und Mieten wurden im Verhältnis 1 : 1 in D-Mark umgestellt. Zudem erhielt jeder und jede einen „Kopfbetrag“ von 40 D-Mark. Bei bestehenden Bankguthaben war die Umstellung deutlich restriktiver und führte zu Empörung bei denjenigen, die hohe Ersparnisse hatten. Dass die Währungsreform aber unausweichlich war, lag auf der Hand. Die schulden- und wechselfinanzierte Rüstungspolitik der Nationalsozialisten hatte die Geldmenge im deutschen Währungsgebiet massiv erhöht. Dazu war lediglich die Reichsbank gleichzuschalten. Bereits im Oktober 1939 wurde eine achtfache Erhöhung des Bargeldumlaufs angeordnet, um die Finanzkraft der Kriegsfinanzierung auszuweiten. Im Verlauf des Zweiten Weltkrieges wurden weitere Finanzierungsquellen im okkupierten Ausland ausgeschöpft. Beschlagnahmtes Gold aus Geschäfts- und Zentralbanken besetzter Länder wurde von der Reichsbank eingeschmolzen und auf dem noch bestehenden europäischen Kapitalmarkt veräußert. Der Außenwert der Reichsmark blieb davon stets unberührt.
Nach dem Krieg änderte sich die Situation jedoch grundlegend. Spätestens im Sommer 1945 war angesichts der eingetretenen ökonomischen Folgen der Kriegsfinanzierung offensichtlich, dass eine Währungsreform unumgänglich sein würde. Zudem wurde der Bedarf an Bargeld wesentlich geringer, weil das Währungsgebiet ab 1945 nicht nur von der Fläche her, sondern auch in Bezug auf die Einwohnerzahl wesentlich kleiner wurde: Große Teile des alten Reichsterritoriums lagen nicht im Machtbereich des Alliierten Kontrollrates. Auch kehrten die vormals besetzten Gebiete zu ihren alten Staatswährungen zurück. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass die Reichsmark weitestgehend ihre Geldfunktionen verlor.
Der Hauptgrund, warum dennoch mehr als drei Jahre verstreichen mussten, bis eine neue Währung emittiert werden konnte bzw. durfte, wird in der Uneinigkeit der Alliierten gelegen haben, wie mit den vier Besatzungszonen verfahren werden sollte. Die unterschiedliche Vorgehensweise in der sowjetisch besetzten Zone und den drei Westzonen ließ bereits im Herbst 1945 erwarten, dass eine dauerhafte Trennung unausweichlich und die gemeinsame Reichsmark obsolet werden würde. Obwohl der Plan zu der im Juni 1948 durchgeführten Währungsreform bereits 1946 weitestgehend vorlag, befassten sich die Besatzungsmächte erst ab 1947 mit dem Gedanken, die Reichsmark durch eine andere Währung abzulösen. So wurde auf Beschluss des Wirtschaftsrates vom 23. Juli 1947 unter der Leitung von Ludwig Erhard die „Sonderstelle Geld