Als helles Tageslicht ins Zimmer flutete, kniff Heidi noch einmal ganz fest die Augen zusammen.
»Steh auf, du Faulpelz«, hörte sie Henriks Stimme. »Es ist schon spät.«
Heidi setzte sich im Bett auf und rieb sich die Augen. »Wie spät?«, fragte sie und blinzelte den hübschen Jungen mit den grauen Augen und dem braunen Haarschopf an.
»Gleich halb acht. Und heute ist Sonnabend. Da haben wir doch schulfrei. Deshalb kann ich ja auch mit dir und Mutti nach Maibach fahren.«
Heidi fiel nun wieder ein, dass sie an diesem Tag ein neues Kleid bekommen sollte. Sie wünschte sich ein rotes mit weißen Punkten. Oder sollte sie sich vielleicht doch lieber für ein himmelblaues mit bunten Blümchen entscheiden?
»Ich stehe schon auf«, sagte sie voller Freude und schob die Bettdecke zurück.
Mit Schwester Regines Hilfe war die Kleine schnell angezogen. Kritisch musterte sie sich im Spiegel. »Findest du nicht auch, dass dieses Kleid schon sehr abgetragen ist?«, fragte sie geringschätzig und rümpfte die Nase.
»Dieses karierte Kleid kannst du gut noch tragen«, meinte die Kinderschwester von Sophienlust lächelnd.
»Aber es ist doch schon an der Tasche gestopft. Auf dem Heimweg ziehe ich aber schon mein neues Kleid an.«
»Das kannst du tun, aber nun komm endlich. Die anderen Kinder sitzen schon beim Frühstück. Tante Isi wird in ungefähr einer halben Stunde da sein.«
»Dann werde ich mich beeilen.« Das kleine Mädchen mit den hellblonden Haaren und den blauen Augen verließ das Zimmer und sprang dann übermütig die Treppe hinab, die in die Wohnhalle mündete.
Henrik saß schon auf seinem Platz, als Heidi den Speisesaal betrat. Es kam nur selten vor, dass er zum Frühstück in Sophienlust war. Er wohnte ja in Schoeneich bei seinen Eltern. Doch die letzte Nacht hatte er in Sophienlust verbracht. Sein älterer Bruder Nick hatte ihm sein Zimmer abgetreten. Nick wohnte sonst auch in Schoeneich, aber als zukünftiger Besitzer von Sophienlust hatte er auch hier ein Zimmer, in dem er jederzeit übernachten durfte. Um dieses Zimmer beneidete Henrik ihn glühend. Er fand es ungerecht, dass er nicht auch ein eigenes Zimmer in dem Kinderheim bekam.
Heidi wünschte allen fröhlich einen guten Morgen. Dann setzte sie sich an den Esstisch.
»Ich freue mich sehr auf mein neues Kleid«, sagte sie zu Pünktchen, die neben ihr saß.
»Das kann ich verstehen«, erwiderte die Gymnasiastin mit den goldblonden Haaren und den veilchenblauen Augen, wobei sie ihre mit Sommersprossen übersäte Stupsnase krauste. »Was für eine Farbe suchst du dir denn aus?«
Nun mischten sich die anderen Mädchen in das Gespräch ein und erteilten Heidi bezüglich der Farbe Ratschläge. »Am besten würde dir Himmelblau stehen«, meinte Angelika nachdenklich.
»Das finde ich auch«, rief ihre um zwei Jahre jüngere Schwester Vicky.
»Ich finde rot sehr schön«, erklärte Henrik. »Heidi hatte schon einmal ein rotes Kleid. Das hat mir sehr gefallen.«
»Vielleicht werde ich mir ein rotes Kleid kaufen.« Heidi strahlte übers ganze Gesicht. Sie fand es wunderschön, im Mittelpunkt einer Unterhaltung zu stehen.
»Mutti kommt!«, rief Henrik, der ein Auto gehört hatte. »Darf ich aufstehen, Schwester Regine?«
»Steh nur auf«, erlaubte die Kinderschwester freundlich.
»Es ist Mutti. Und Nick ist auch da!«, rief Henrik fröhlich.
Kurz darauf wurden Denise von Schoenecker und Nick von den Kindern von Sophienlust voller Freude begrüßt.
»Seid ihr fertig?«, fragte Denise Heidi und Henrik. »Ich möchte gleich losfahren.«
»Wir sind fertig, Mutti. Komm, Heidi!«, rief Henrik dem kleinen Mädchen zu, das sogleich angelaufen kam.
Es war ein sehr schöner Junitag. In den kleinen Vorgärten der Häuser von Wildmoos blühten die Blumen in prachtvollen Farben. Später wechselte das Bild. Sie hatten den Ort bereits hinter sich gelassen und fuhren nun an Wiesen und Feldern vorbei.
Aufgeregt rutschte Heidi auf dem hinteren Sitz hin und her. »Glaubst du auch, dass mir Rot besser steht als Blau?«, fragte sie Denise schon zum x-ten Male. Und zum x-ten Male antwortete diese geduldig: »Das wi