Einleitung
1. Wer sind die Woken, und was wollen sie?
Achtung, Triggerwarnung!
Dieses Buch analysiert tiefe Gräben in unserer Gesellschaft. Es geht um Glaube, Liebe, Hoffnung, um Körper und Seele, Sexualität und Identität, Macht und Moral, Gewalt und Gegengewalt, Täter und Opfer, Recht und Rechthaberei. Die Lektüre kann an Diskriminierungserfahrungen erinnern, unerwünschteGefühle wecken und Flashbacks sowie negative Reaktionen auslösen. Seien Sie bitte wach und achtsam, sollte dies bei Ihnen der Fall sein.
Mit der revolutionären Strategie »Marsch durch die Institutionen« trat vor mehr als fünfzig Jahren eine fortschrittliche Generation von Linken an, um die – nicht allein, aber auch – von alten Nazis gebaute konservative und provinzielle Bonner Republik umzubauen. Diese Avantgarde wollte eine andere Republik, sie strebte eine soziale und solidarische, eine gerechtere Gesellschaft an. Bald unterstützte die Mehrheit der Deutschen dieses Anliegen.
Heute marschiert eine Bewegung auf, die sich ebenfalls für Avantgarde hält. Sie nennen sich »woke«, erwacht, aufgewacht, aufgeweckt, um nicht zu sagen: erleuchtet – jedenfalls halten sie sich für wissend und klüger als die Masse. Sie kämpfen gegen Rassismus und Sexismus, für das Klima und für die Rechte von allerlei Minderheiten, die sie als benachteiligt ansehen. Wer wäre schonfür Rassismus,für Sexismus undfür Klimawandel? Aber die Pläne der Woken für Veränderungen begeistern die Mehrheit nicht. Im Gegenteil: Die Mehrheit fühlt sich von einer ungeduldigen, lauten, in Teilen radikalen Minderheit bevormundet.
Dabei wollen »woke« Menschen doch nur das Beste für uns alle, sie »stehen für Schwächere ein, beschäftigen sich mit deren Problemen und helfen ihnen im Idealfall sogar, diese zu überwinden«. So definiert das Goethe-Institut den Begriff. Woke sei, »wer diese Dinge sieht und etwas dagegen tut«. Ganz anders die anderen: »In der konservativen Bubble gilt ›woke‹ als Schimpfwort für politisch eher links eingestellte Menschen.« Das aus Steuermitteln alimentierte staatliche Kulturinstitut, das im Ausland ein umfassendes Deutschlandbild vermitteln soll, teilt der ganzen Welt mit, dass woke Menschen unter Konservativen als »snowflakes« (Schneeflocken) bezeichnet werden, »also als hypersensibel oder empfindlich, sowie als selbstgerechte Menschen, die anderen nur helfen, um sich selbst besser zu fühlen«. So etwas sei nicht neu, heißt es. »Schon 2015 wurden Menschen in Deutschland als ›Gutmenschen‹ beschimpft, die sich für Geflüchtete einsetzten.«1 Womit die unwoken Schlafmützen, die große Masse, in der rechten Schmuddelecke abgelegt wären.
Vonseiten der Wissenschaft haben die Literatursoziologin Carolin Amlinger und der Soziologe Oliver Nachtwey diese »libertären Autoritären« als Menschen klassifiziert, die »ihre individuelle Freiheit absolut setzen. … Sie werten jene ab, die ein anderes Verständnis von Freiheit vertreten.«2 Dieser Vorwurf kann allerdings auch gegen die Woken erhoben werden, sie sind das Antidot der Rechten, der Pegida-Wutbürger, der Querdenker. Beide betrachten sich offenbar als erwacht. Was den Rechten die Snowflakes sind, ihre verweichlichten Gegner, nennen die Woken – weniger lyrisch und gänzlich uninspiriert – »der alte weiße Mann«, der »Nazi«, und auch die »TER