: Birgit Weyel, Johann Hinrich Claussen, Wilfried Engemann, Doris Hiller, Kathrin Oxen, Christopher Spehr, Christian Stäblein
: Predigtstudien 2023/2024 - 1. Halbband Vom 1. Advent bis zum 5. Sonntag nach Ostern (Rogate) - Perikopenreihe VI
: Kreuz Verlag
: 9783451830242
: 1
: CHF 19.90
:
: Praktische Theologie
: German
: 272
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die Predigtstudien sind eine bewährte Arbeitshilfe für die qualifizierte und fundierte Predigtvorbereitung. Sie enthalten praxisorientierte Anregungen für die Predigt und die Gestaltung des Gottesdienstes. Jeder Predigttext wird von zwei Theologinnen/Theologen aus Gemeindearbeit, Kirchenleitung und Wissenschaft bearbeitet. Dieser Dialog verbindet wissenschaftliches Niveau mit homiletischer Praxis.

Birgit Weyel, geb. 1964, in Siegen/Westfalen. Studium der Ev. Theologie in Bonn und Berlin.1991 und 1992 Vikariat in Berlin-Mitte und im Predigerseminar Wittenberg. Ordination 1992 in St. Marien, Berlin-Mitte. Seit 1993 Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Assistentin in der Praktischen Theologie in Berlin. 1997 Promotion zum Dr. theol. 2004 Habilitation. Sommersemester 2006 und Wintersemester 2006/2007 Vertretungsprofessur in München. Seit Sommersemester 2007 in Tübingen. Prof. Dr. Johann Hinrich Claussen, geboren 1964 in Hamburg. Studium der evangelischen Theologie in Tübingen, Hamburg und London. 1997 bis 2001 Gemeindepastor in Reinbek, bei Hamburg. 2004 bis 2016 Hauptpastor an der Hauptkirche St. Nikolai am Klosterstern und Propst im Kirchenkreis Hamburg-Ost. Seit 2016 Kulturbeauftragter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. Seit 2019 Honorarprofessor an der Humboldt Universität zu Berlin. Regelmäßige journalistische Arbeiten u.a. für die 'Süddeutsche Zeitung' und die 'Frankfurter Allgemeine Zeitung'. Zahlreiche Buchveröffentlichungen. Wilfried Engemann, geb. 1959, ist Universitätsprofessor für Praktische Theologie. Er lehrt dieses Fach seit 1986. Nach einer Assistentur am Theologischen Seminar Leipzig war er ab 1989 Privatdozent an der Uni Greifswald. 1994 wurde er als Ordinarius für Praktische Theologie an die Uni Münster berufen. Im WS 2011 wechselte er an das Institut für Praktische Theologie und Religionspsychologie der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Uni Wien. Dem Fachpublikum ist er auch als Mitherausgeber der Zeitschrift Wege zum Menschen sowie durch das Lehrbuch Einführung in die Homiletik (2. Aufl. 2011) bekannt. Doris Hiller, geb. 1968, Studium der Evangelischen Theologie in Erlangen und Heidelberg. 1997 Promotion zur Dr. theol. in Jena. 1998-2000 Vikariat in der Evangelischen Landeskirche in Baden in Hemsbach mit Ordination. 2001-2007 Assistentin am Lehrstuhl Systematische Theologie/Dogmatik in Leipzig, 2011 Habilitation in Bochum. 2008-2012 Gemeindepfarrerin in Ittlingen und Richen (Kirchenbezirk Kraichgau). Seit 2013 Seminardirektorin am Predigerseminar Petersstift und Privatdozentin im Fach Systematische Theologie in Heidelberg. Pfarrerin Kathrin Oxen, geb. 1972, in Neustadt in Holstein, studierte evangelische Theologie in Wuppertal und Berlin. Nach dem kirchlichen Vorbereitungsdienst in Bremen und Lüneburg war sie von 2004 bis Anfang 2012 Pfarrerin der ev.-reformierten Kirche in Mecklenburg-Bützow. Sie absolvierte von 2008 bis 2010 die 'Meisterklasse Predigt' des Atelier Sprache e.V. in Braunschweig. Seit Februar 2012 leitet sie das Zentrum für evangelische Predigtkultur, eine Einrichtung der EKD in der Lutherstadt Wittenberg. Für ihre Predigten wurde sie mehrfach ausgezeichnet, u. a. 2009 mit dem Predigtpreis des Verlags für die deutsche Wirtschaft in der Kategorie 'Beste Predigt'. Sie ist als Autorin und Herausgeberin für verschiedene Predigthilfen tätig, außerdem als Verfasserin von Rundfunkandachten im MDR und auf Deutschlandradio Kultur. Kathrin Oxen ist verheiratet und Mutter von vier Kindern. Christopher Spehr, geb. 1971, in Bad Oeynhausen, studierte von 1992 bis 1999 Ev. Theologie in Bethel, Tübingen und Zürich. Anschließend promovierte er zum Dr. theol. an der Universität Münster, absolvierte 2002-2005 sein Vikariat in Herne-Holsterhausen (Westfalen) und wirkte 2005-2010 als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Kirchengeschichte II der Ev.-Theol. Fakultät in Münster. Nach Habilitation im Fach Kirchengeschichte 2009 und Vertretungsprofessuren in Bochum und Jena ist er seit 2011 W-3 Professor für Kirchengeschichte an der Theol. Fakultät der Friedrich-Schiller-Universitä Jena. 2012 erfolgte die Ordination durch die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland. Er ist verheiratet und hat eine Tochter.

1. Advent – 03.12.2023

A

Psalm 24,1–10

Die Adventszeit der gemischten Gefühle

Johannes Greifenstein

I Eröffnung: Kasualpredigt und Textpredigt?

Die Predigt am 1. Advent ist kirchenjahreszeitliche Kasualpredigt an einem der wichtigsten Termine im ganzen Jahr. Die Predigt zu Ps 24 verdankt sich der kasualmusikalischen Setzung des Klassikers »Macht hoch die Tür« (EG 1) und dessen Bezugnahme auf V.7–10.

Das Perikopenbuch hört zu Beginn des Kirchenjahres einen »Paukenschlag«, und so kann man den Schöpfer (V.1–2) und König (V.7–10) auch wahrnehmen. Doch sind wir Menschen (V.3–6) nicht nur auf der Ebene der Textstruktur gleichsam in der Mitte dazwischen eingequetscht? Es wird darauf ankommen, nicht überGott zu predigen, sondern über unserGottesverhältnis.

Die Predigt sieht die Adventszeit als Zeit des Suchens und Fragens an und kann selbst suchend und fragend verfahren. Es ist verständlich, dass man am Kirchenjahresbeginn und im Vorblick auf Weihnachten die Pauke schlagen will. Aber man vergreife sich nicht in Ton und Lautstärke: Der Gott, um den es mit Jesus geht, muss letztlich durch unsere »Herzens Tür« einziehen (EG 1,5).

II Erschließung des Textes: Advent Christi und eines christlichen Glaubens

Die Perikope kann man in drei Teile gliedern. Nach einer Aussage über Gott (V.1–2) folgt der Blick auf uns Menschen (V.3–6) und zuletzt eine auffällig strukturierte Einheit, die in gewisser Weise Perspektiven zugleich auf Gott und den Menschen enthält (V.7–10). Wie gesagt ist es dieser dritte Teil, der für diese Perikope verantwortlich ist und einen christlichen Zugang zu ihr anzeigt: Der einziehende »König der Ehre« ist Christus! Aber schon für V.1 verweist die Lutherbibel auf Joh 1,11 und damit weg vom alttestamentlichen auf den neutestamentlichen Herrn: »Er kam in sein Eigentum.«

V.1–2 lesen sich wie ein Argument dafür, dass Gott »von Rechts wegen die ganze Menschheit gehört«. (Böhler, 447) Lehrtechnisch würde man diese Verse zunächst auf einen Schöpfungsglauben beziehen und kann man in diesem Kontext durchaus schon an uns (nicht eigens erwähnte) Menschen denken (»die darauf wohnen«). Weshalb aber wäre oder wie wird das für eine Predigt relevant? Wird es nicht vollends zu viel, wenn dann auch noch ein Bezug auf den mit Christus verbundenen Kasus erfolgt?

Das ist keine rhetorische, aber eine auf Nachdenklichkeit und Umsicht zielende Frage. Immerhin gibt es bereits hier eine mögliche Berührung zu einer christologischen Ausdeutung der Perikope, wenn man nämlich an die Universalität der Erde und des Erdkreises noch in anderer Weise denkt: Jesus ist für alle gekommen (EG 11,1: »aller Welt Verlangen«) und will zu allen kommen. Man beachte gleichsam als Erfüllung dieser Vorstellung aus einem der »weiteren Texte« Offb 5,13 sowie Sach 9,10.

V.3 verfällt zuerst (positioneller) Kritik: Es gibt keinen solchen Berg und keine solche Stätte (oder Stätten, vgl. Zeph 2,11). Es braucht so etwas aber auch nicht, man vermisst einen freimütigen Verweis auf Joh 4,19–24. Etwas moderater: Der Glaube selbst eröffnet den Weg in das vermeintliche Heiligtum (vgl. als »weiteren Text« Hebr 10,[19–22]23–25). Man kann aber auch einmal von dem »Wunsch« absehen, ausgerechnet »im Tempel Gottes Gegenwart zu erfahren«. (Spieckermann, 292) Denn keineswegs erübrigen sich die Fragen: Wie stehe ich vor Gott (vgl. Röm 13,8–12, Offb 3,14–22)? Und auch: Wie gelange ich vor Gott?

Auch bei V.4–5 differenziert die homiletische Auslegung. Erstens ist eine Art Belohnungsmotiv wahrzunehmen. Dabei beachte man zuerst den Verweis auf Jes 48,18 (Gerechtigkeit für richtiges Verhalten), dann ist vor allem Ps 15 interessant, den die Lutherbibel unter die Überschrift stellt: »Wen nimmt Gott an?« Zweitens kann man eigens nach der Relevanz unschuldiger Hände, eines reinen Herzens und der Distanzierung von der Lüge fragen. Wie ist das ein Thema für unsere Lebenswelten? Das dritte ist der basale Gedanke, dass wir von Gott etwas bekommen – wobei esich bin, der etwas bekommen kann, schließlich ist Gott schon grammatisch auf eine einzelne Person bezogen eigens ein Gott »seines Heiles«.

In V.6 bezieht man das »Das« auf das suchende und fragende Geschlecht – das bekanntlich gerade heute nach dem Segen fragt (V.5) –, also auf diejenigen, die V.4–5 auszeichnend vor Augen gestellt werden. Für Luther ist diese Passage von – zuspitzend – sinnvollem Antijudaismus und Antikatholizismus geprägt. Denn das Gottesverhältnis entscheidet sich eben allein am Gottesverhältnis: »Nur reinen Glauben und wahre Demut soll man haben. Das andre gilt nichts.« (Luther, 328) Dazu passt es, wenn die Elberfelder Bibel von 1905 auf Röm 2,28–29 verweist. Bei der »Herrlichkeit für die Seinen« ist »deren persönliches Gottesverhältnis im Blick […], nicht die Zugehörigkeit zum Gottesvolk«. (Spieckermann, 289)

Bei V.7–9 fordert der Gesamteindruck von einem räumlich-äußerlichen Phänomen heraus (vgl. Verweis auf Jes 40,3–4, wiederum beziehbar auf Lk 3,4–6 und Joh 1,23 und damit auf das Täuferwort zu Jesu Ankunft). Die »Religion« der Perikope betrifft eine Ebene des Politischen und Geschichtlichen, Vorstellungen von einem solchen Herrn können Assoziationen etwa in Richtung Russland hervorrufen. In der Tat besteht – wie das Perikopenbuch bemerkt – eine gewisse Spannung zu Vorstellungen von Armut und Frieden, die eine Ankunft Jesu charakterisieren können (vgl. Sach 9,9–10). Gleichwohl besteht auch eine Nähe zu Vorstellungen von einer Königsherrschaft Christi (Jer 23,5). Doch wie hat man sich die Hoheit Jesu als eine grundsätzlich (!) andere, aber deshalb keineswegs weniger starke und mächtige (V.8), sondern eigentümlich siegreiche (EG 11,5) Hoheit vorzustellen?

III Impulse: Freude und Buße des Adventschristentums

Ausgangspunkt im Blick auf Text und Kasus ist eine Umkehr der Perspektive (gegenüber V.3a und dann V.3–6 insgesamt). Advent heißt zuerst und grundsätzlich: Nicht wir gehen irgendwohin, sondern er kommt und bringt den (alle Jahre) immer wieder neuen (Geburt!) Glauben zu uns. Aber der Text spricht auch vom Suchen und Fragen. Man kann überbetonen, dass deshalb nicht alle gemeint sind, sondern nur eine Schar – das läuft auf eine letztlich römisch-katholische (und insofern verkehrte) Differenzierung von Kirche und Welt hinaus (vgl. Spaemann, 195), der freilich auch ein unprotestantisch-übertriebener Liturgizismus huldigen kann. Man vergleiche kritisch aus einem Psalm, »der sachlich und sprachlich sehr nahe bei Ps 24 ist« (Spieckermann, 289): »Ich aber gehe meinen Weg in Unschuld.