1. Advent – 03.12.2023
A
Psalm 24,1–10
Die Adventszeit der gemischten Gefühle
Johannes Greifenstein
I Eröffnung: Kasualpredigt und Textpredigt?
Die Predigt am 1. Advent ist kirchenjahreszeitliche Kasualpredigt an einem der wichtigsten Termine im ganzen Jahr. Die Predigt zu Ps 24 verdankt sich der kasualmusikalischen Setzung des Klassikers »Macht hoch die Tür« (EG 1) und dessen Bezugnahme auf V.7–10.
Das Perikopenbuch hört zu Beginn des Kirchenjahres einen »Paukenschlag«, und so kann man den Schöpfer (V.1–2) und König (V.7–10) auch wahrnehmen. Doch sind wir Menschen (V.3–6) nicht nur auf der Ebene der Textstruktur gleichsam in der Mitte dazwischen eingequetscht? Es wird darauf ankommen, nicht überGott zu predigen, sondern über unserGottesverhältnis.
Die Predigt sieht die Adventszeit als Zeit des Suchens und Fragens an und kann selbst suchend und fragend verfahren. Es ist verständlich, dass man am Kirchenjahresbeginn und im Vorblick auf Weihnachten die Pauke schlagen will. Aber man vergreife sich nicht in Ton und Lautstärke: Der Gott, um den es mit Jesus geht, muss letztlich durch unsere »Herzens Tür« einziehen (EG 1,5).
II Erschließung des Textes: Advent Christi und eines christlichen Glaubens
Die Perikope kann man in drei Teile gliedern. Nach einer Aussage über Gott (V.1–2) folgt der Blick auf uns Menschen (V.3–6) und zuletzt eine auffällig strukturierte Einheit, die in gewisser Weise Perspektiven zugleich auf Gott und den Menschen enthält (V.7–10). Wie gesagt ist es dieser dritte Teil, der für diese Perikope verantwortlich ist und einen christlichen Zugang zu ihr anzeigt: Der einziehende »König der Ehre« ist Christus! Aber schon für V.1 verweist die Lutherbibel auf Joh 1,11 und damit weg vom alttestamentlichen auf den neutestamentlichen Herrn: »Er kam in sein Eigentum.«
V.1–2 lesen sich wie ein Argument dafür, dass Gott »von Rechts wegen die ganze Menschheit gehört«. (Böhler, 447) Lehrtechnisch würde man diese Verse zunächst auf einen Schöpfungsglauben beziehen und kann man in diesem Kontext durchaus schon an uns (nicht eigens erwähnte) Menschen denken (»die darauf wohnen«). Weshalb aber wäre oder wie wird das für eine Predigt relevant? Wird es nicht vollends zu viel, wenn dann auch noch ein Bezug auf den mit Christus verbundenen Kasus erfolgt?
Das ist keine rhetorische, aber eine auf Nachdenklichkeit und Umsicht zielende Frage. Immerhin gibt es bereits hier eine mögliche Berührung zu einer christologischen Ausdeutung der Perikope, wenn man nämlich an die Universalität der Erde und des Erdkreises noch in anderer Weise denkt: Jesus ist für alle gekommen (EG 11,1: »aller Welt Verlangen«) und will zu allen kommen. Man beachte gleichsam als Erfüllung dieser Vorstellung aus einem der »weiteren Texte« Offb 5,13 sowie Sach 9,10.
V.3 verfällt zuerst (positioneller) Kritik: Es gibt keinen solchen Berg und keine solche Stätte (oder Stätten, vgl. Zeph 2,11). Es braucht so etwas aber auch nicht, man vermisst einen freimütigen Verweis auf Joh 4,19–24. Etwas moderater: Der Glaube selbst eröffnet den Weg in das vermeintliche Heiligtum (vgl. als »weiteren Text« Hebr 10,[19–22]23–25). Man kann aber auch einmal von dem »Wunsch« absehen, ausgerechnet »im Tempel Gottes Gegenwart zu erfahren«. (Spieckermann, 292) Denn keineswegs erübrigen sich die Fragen: Wie stehe ich vor Gott (vgl. Röm 13,8–12, Offb 3,14–22)? Und auch: Wie gelange ich vor Gott?
Auch bei V.4–5 differenziert die homiletische Auslegung. Erstens ist eine Art Belohnungsmotiv wahrzunehmen. Dabei beachte man zuerst den Verweis auf Jes 48,18 (Gerechtigkeit für richtiges Verhalten), dann ist vor allem Ps 15 interessant, den die Lutherbibel unter die Überschrift stellt: »Wen nimmt Gott an?« Zweitens kann man eigens nach der Relevanz unschuldiger Hände, eines reinen Herzens und der Distanzierung von der Lüge fragen. Wie ist das ein Thema für unsere Lebenswelten? Das dritte ist der basale Gedanke, dass wir von Gott etwas bekommen – wobei esich bin, der etwas bekommen kann, schließlich ist Gott schon grammatisch auf eine einzelne Person bezogen eigens ein Gott »seines Heiles«.
In V.6 bezieht man das »Das« auf das suchende und fragende Geschlecht – das bekanntlich gerade heute nach dem Segen fragt (V.5) –, also auf diejenigen, die V.4–5 auszeichnend vor Augen gestellt werden. Für Luther ist diese Passage von – zuspitzend – sinnvollem Antijudaismus und Antikatholizismus geprägt. Denn das Gottesverhältnis entscheidet sich eben allein am Gottesverhältnis: »Nur reinen Glauben und wahre Demut soll man haben. Das andre gilt nichts.« (Luther, 328) Dazu passt es, wenn die Elberfelder Bibel von 1905 auf Röm 2,28–29 verweist. Bei der »Herrlichkeit für die Seinen« ist »deren persönliches Gottesverhältnis im Blick […], nicht die Zugehörigkeit zum Gottesvolk«. (Spieckermann, 289)
Bei V.7–9 fordert der Gesamteindruck von einem räumlich-äußerlichen Phänomen heraus (vgl. Verweis auf Jes 40,3–4, wiederum beziehbar auf Lk 3,4–6 und Joh 1,23 und damit auf das Täuferwort zu Jesu Ankunft). Die »Religion« der Perikope betrifft eine Ebene des Politischen und Geschichtlichen, Vorstellungen von einem solchen Herrn können Assoziationen etwa in Richtung Russland hervorrufen. In der Tat besteht – wie das Perikopenbuch bemerkt – eine gewisse Spannung zu Vorstellungen von Armut und Frieden, die eine Ankunft Jesu charakterisieren können (vgl. Sach 9,9–10). Gleichwohl besteht auch eine Nähe zu Vorstellungen von einer Königsherrschaft Christi (Jer 23,5). Doch wie hat man sich die Hoheit Jesu als eine grundsätzlich (!) andere, aber deshalb keineswegs weniger starke und mächtige (V.8), sondern eigentümlich siegreiche (EG 11,5) Hoheit vorzustellen?
III Impulse: Freude und Buße des Adventschristentums
Ausgangspunkt im Blick auf Text und Kasus ist eine Umkehr der Perspektive (gegenüber V.3a und dann V.3–6 insgesamt). Advent heißt zuerst und grundsätzlich: Nicht wir gehen irgendwohin, sondern er kommt und bringt den (alle Jahre) immer wieder neuen (Geburt!) Glauben zu uns. Aber der Text spricht auch vom Suchen und Fragen. Man kann überbetonen, dass deshalb nicht alle gemeint sind, sondern nur eine Schar – das läuft auf eine letztlich römisch-katholische (und insofern verkehrte) Differenzierung von Kirche und Welt hinaus (vgl. Spaemann, 195), der freilich auch ein unprotestantisch-übertriebener Liturgizismus huldigen kann. Man vergleiche kritisch aus einem Psalm, »der sachlich und sprachlich sehr nahe bei Ps 24 ist« (Spieckermann, 289): »Ich aber gehe meinen Weg in Unschuld.