Von null auf eins – Wie du deine Traumziele findest
Mein Silvester 2022 war irgendwie komisch. Es hat sich ganz anders angefühlt als so viele Silvester und Neujahrstage in den Jahren zuvor. Nein, nicht was ihr jetzt vielleicht denkt, ich hatte keinen Megakater oder Hangover oder sonst irgendetwas. Ich hatte nur keine Ziele. Keine Ziele? Ja, richtig gehört.
2022 war für mich ein besonderes Jahr. Es war das Jahr, in dem ich meine Karriere offiziell beendet habe, mit dem Last Fight, dem größten Ringerevent aller Zeiten auf deutschem Boden. Es war damit auch das Jahr, in dem ich mit einer Tradition brach, die ich seit fast zwei Jahrzehnten zelebriert hatte und ohne die für mich ein Jahresanfang überhaupt nicht denkbar gewesen wäre. Begonnen hatte ich mit dieser Tradition, als ich noch ziemlich weit weg war von den Olympischen Spielen oder dem Weltmeistertitel. Im Alter von vierzehn Jahren.
Die Hauptmessage dieses Buches und meiner Vorträge lautet: Du musst kein Ausnahmetalent sein, um Ausnahmekönner zu werden. Du musst kein Freak of nature sein, wie zum Beispiel LeBron James im Basketball oder Christiano Ronaldo im Fußball, um Erfolg zu haben. Und nicht jeder Weltmeister ist auch schon in seiner Jugend überragend. Bei mir jedenfalls war das so. Ich war in der C- und der B-Jugend insgesamt viermal bei Deutschen Meisterschaften gewesen. Na ja, und was soll ich sagen: Ich war viermal Vierter geworden. Viermal Blech. Also nichts, für mich zumindest. Denn natürlich ist der vierte Platz bei einer Deutschen Meisterschaft ein Erfolg, und dorthin zu kommen, ist gar nicht so easy. Für mich war das aber jedes Mal ein Scheitern. Die Gleichung in meinem Kopf war einfach und endete immer mit einer Null: Vierter = Blech = nicht auf dem Treppchen = null. Und die Null und ich, wir waren identisch. Zumindest fühlte ich das so.
Ich wollte keine Null mehr sein – Wie es zu meiner allerersten Zielplanung kam
Mit vierzehn wollte ich keine Null mehr sein. Ich wollte eine Eins sein, Erster auf der Deutschen Meisterschaft und damit Deutscher Meister. Einmal im Leben, nicht mehr. Darauf arbeitete ich also im Jahr 2005 hin. Nur wehrte sich anscheinend mein Körper dagegen, immer wieder plagten mich Infekte. Der Geist war willig, aber das Fleisch war schwach. Und irgendwann war auch klar, wo die Herde der Infekte zu lokalisieren waren: meine Mandeln streikten. Also mussten sie raus, es half nichts. Da spielte es auch keine Rolle mehr, dass es nur noch knapp fünf Wochen bis zur Deutschen Meisterschaft waren. Ich wusste, dass das meinen Plan komplett torpedierte. Einen Monat vor dem Jahreshighlight und der nächsten Chance, meinen großen Traum zu verwirklichen, und ich musste operiert werden. Die OP war das eine. Schlimmer noch war, dass ich mich danach schonen musste. Kein Joggen, kein Krafttraining, keine Technikeinheiten und schon gar keine Trainingskämpfe. Mist, ich war völlig down.
Aber wie gesagt: Es half alles nichts. Der Termin für die OP rückte immer näher, dann kam der Tag, an dem ich ins Krankenhaus fuhr, und schließlich der Moment, als die OP losging. Und als alles vorbei war, war alles vorbei. Dachte ich. Zumindest für einige Zeit. Dann aber, als ich in meinem Bett lag und wartete und haderte und haderte und wartete, reifte etwas in mir. Erst ganz schwach und dann immer stärker. Es war, als würde an einer Tür geklopft, zunächst ganz leise, dann lauter und dann mit so viel Kraft, als wollte irgendjemand die Tür einschlagen. Aber nicht die Tür meines Krankenhauszimmers, sondern die Tür in meinem Kopf.