: Abram de Swaan
: Gegen die Frauen Der weltweite Kampf gegen die Emanzipation
: Wallstein Verlag
: 9783835384101
: 1
: CHF 23.70
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: Kulturgeschichte
: German
: 256
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Über die Erfolge der Frauenemanzipation und die Abwehrreaktionen. Das weltweite Bildungsniveau ist im letzten halben Jahrhundert rasant gestiegen, insbesondere bei Mädchen und jungen Frauen. Das hat auch die Beziehungen zwischen Mann und Frau verändert. Frauen heiraten später, bekommen weniger Kinder, arbeiten länger und verdienen mehr. Dieser Zugewinn an Wissen, Einkommen und auch Macht ist für viele Männer schwer zu ertragen. Abram de Swaan zufolge führt dieses relative Schwinden der männlichen Dominanz zu sozialen und psychologischen Spannungen, die auf die Verletzung des männlichen Ehrgefühls zurückzuführen sind: eine kollektive und individuelle narzisstische Kränkung. Der Autor sieht den Aufstieg der extremen Rechten, des christlichen Fundamentalismus und des Dschihadismus als Reaktion auf die weltweite Emanzipation der Frauen, die offenbar von vielen Männern als bedrohlich wahrgenommen wird. Werden diese Bewegungen fortbestehen, oder sind sie ein letztes Aufbäumen des im Untergang befindlichen Patriarchats?

Abram de Swaan (1942) war von 1973 bis 2007 Professor für Soziologie und seit 2001 auch Professor für Sozialwissenschaften an der Universität von Amsterdam. Er lehrte unter anderem am Collège de France in Paris und an der Columbia University in New York. Zu seinen erfolgreichsten Büchern gehören America in Terms, Man is Man`s Worry, Care and the State, Human Society, Words of the World und Compartments of Destruction. Sein Werk ist in zwölf Sprachen erschienen. Er war viele Jahre Kolumnist beim NRC Handelsblad und erhielt 2008 den P. C. Hooft-Preis für sein Gesamtwerk. Bärbel Jänicke übersetzt wissenschaftliche Texte und literarische Sachbücher aus dem Niederländischen. Sie studierte Philosophie, Kunstgeschichte und Archäologie in Frankfurt und Saarbrücken und lebt heute in Berlin. 2021 wurde sie für ihre Übersetzung von 'Und überall Philosophie' von Ger Groot mit dem Else-Otten-Übersetzerpreis ausgezeichnet.

Einleitung


Das ist, noch immer, das Zeitalter der Emanzipation. Dieses Zeitalter währt schon anderthalb Jahrhunderte. Es begann im Westen mit der Abschaffung der Sklaverei, Mitte des 19. Jahrhunderts. Nicht viel später kam in den westlichen Ländern die Arbeiterbewegung auf, der es nach vielen Kämpfen gelang, für die Lohnabhängigen eine menschenwürdige Existenz zu erringen. Gegen Ende dieses Jahrhunderts kündigte sich die Frauenbewegung mit Kampagnen für das Frauenwahlrecht an. Mitte des vergangenen Jahrhunderts kam es nahezu überall in Asien und Afrika zur Befreiung von der westlichen Kolonialherrschaft. Und vor etwa 50 Jahren manifestierte sich eine neue Welle von Emanzipationsbestrebungen: Frauen, aber auch Schwarze und Homosexuelle nahmen den Kampf für gleiche Rechte und gleiche Würde auf. Das vollzog sich nicht nur im Westen, sondern auch in der außerwestlichen Welt. Natürlich sind Gleichberechtigung und Autonomie noch längst nicht verwirklicht, nicht überall, nicht für alle und nicht in allen Hinsichten.

Das vergangene Jahrhundert war auch eine Epoche der Weltkriege, der Genozide und der Tyrannei. Auch heute noch leiden hunderte Millionen von Menschen unter Kriegen, Massenmorden und Diktaturen. Und dennoch ist die Emanzipation von Milliarden von Menschen weiter vorangeschritten. Ein Jahrhundert, anderthalb Jahrhunderte sind in der Geschichte der Menschheit eine sehr kurze Zeitspanne, gemessen an einem Menschenleben aber eine sehr lange Zeit. Die Einführung des Frauenwahlrechts, in den meisten westlichen Ländern ungefähr vor einem Jahrhundert, ist für die Jugend von heute eine Wegmarke, die ihre Ururgroßmutter wohl in jungen Jahren passiert hat.

In der zweiten feministischen Welle ging es um Gleichbehandlung am Arbeitsplatz und vor dem Gesetz, um das Recht auf Verhütung und Schwangerschaftsabbruch. Das ist ein halbes Jahrhundert her und liegt somit unserer heutigen Realität schon ein gutes Stück näher. Dafür kämpften die Großmütter jener Menschen, die heute studieren oder ihren ersten Job angetreten haben. Diese aufeinander folgenden Emanzipationswellen bilden also einen Teil der Familiengeschichte der jungen Leute von heute.

Die Frauenemanzipation fügt sich in die breitere Emanzipationsgeschichte der vergangenen anderthalb Jahrhunderte ein. Es war keineswegs so, dass diese kämpferischen Frauen auch immer für andere Benachteiligte – für Arbeiter, Kolonialisierte, Schwarze oder Homosexuelle – Partei ergriffen hätten. Und umgekehrt verhielten sich diese anderen Gruppen gewiss nicht immer solidarisch mit den kämpferischen Frauen. Und doch ist all diesen Emanzipationsbewegungen etwas gemeinsam. Sie haben sich allesamt an demselben Funken entfacht: dem revolutionären Gedanken, dass alle Menschen im Prinzip gleichwertig sind. Alle Menschen können demnach auf die gleichen Grundrechte Anspruch erheben; jeder und jede kann – so weit wie möglich – über das eigene Leben verfügen.

All diese Emanzipationsbewegungen weisen noch weitere gemeinsame Züge auf. Sie beginnen stets mit einer Phase allgemeiner Unterdrückung. Schließlich beginnt sich eine kleine Vorhut zu widersetzen. Mit der Zeit gewinnen sie Anhänger und Einfluss, bis sich die Gruppe nach und nach zu einer breiten Bewegung ausweitet. Dieser Vormarsch der Emanzipationsbewegung stößt sodann in der Regel auf den Widerstand all jener, die ihre ererbten Privilegien plötzlich angegriffen sehen. Das wird selten widerstandslos akzeptiert.

Von dieser unnachgiebigen Gegenwehr gegen die Frauenemanzipation, die vorrangig von fundamentalistischen Gläubigen ausgeht,[1] handelt dieses Buch. Dabei spielt es nur eine untergeordnete Rolle, um welchen Glauben es sich handelt. Die zweite Widerstandsfront bilden die Rechtsextremen in der Politik.

Das gesellschaftliche System zur Unterdrückung der Frauen wird meistens als Patriarchat bezeichnet, eine Gesellschaft unter der Herrschaft – vor allem älterer – wohlwollender Männer mit grauen Bärten, die mit füg- und sorgsamen Frauen (ohne Bärte) nur das Beste im Sinn hatten. Aber dem war beileibe nicht so. Mit einem Wort ausgedrückt handelte es sich, schlimmstenfalls, um ein Terrorregime: eine