: Sabrina Müller, Jasmine Suhner
: Sandra Bils, Thorsten Dietz, Tobias Faix, Tobias Künkler, Sabrina Müller
: Transformative Homiletik. Jenseits der Kanzel (M)achtsam predigen in einer sich verändernden Welt
: Neukirchener Verlagsgesellschaft
: 9783761569122
: 1
: CHF 21.40
:
: Christliche Religionen
: German
: 240
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Predigen ist in zutiefst wirkungsvoller, seelenvoller und sinnvoller Weise möglich. Vielerorts geschieht dies schon, auch jenseits der Kanzel, ohne als Predigt anerkannt zu sein. Die Autorinnen prüfen die unhinterfragten Machtansprüche einer frontalen Predigt und bieten alternative, feministische und postkoloniale Ansätze. Partizipation statt Kanzelmacht unterstützt durch die göttliche Geistkraft, die RUACH, wollen sie die Predigt transformieren in einer sich transformierende Welt. Der dritte Band der Reihe 'Interdisziplinäre Studien zur Transformation' (IST)

PD Dr. theol. Sabrina Müller, geb. 1980, ist Praktische Theologin und arbeitet als Geschäftsleiterin des Universitären Forschungsschwerpunkts (UFSP) Digital Religion(s). Sie ist Mitglied der Leitung des Zentrums für Kirchenentwicklung an der Universität Zürich.
  1. Die Anfänge der Kanzel als Ort öffentlicher Kommunikation

    Die christliche Predigtgeschichte begann, gemäß biblischer Erzählung, mit der Pfingstpredigt des Petrus vor Pilger:innen »aus allen Völkern unter dem Himmel« (Apg 2,5)1. Jene Predigt wird Petrus auf einem Platz in Jerusalem gehalten haben. Wann und wie aber kam die Kanzel als liturgischer Ort der Predigt ins Spiel?

    DieGeschichte der Kanzel als Predigtort beginnt lange vor dem erstenAufbau einer Kanzel. Der Name »Kanzel« führt zurück in das 4. Jahrhundert, als zum ersten Mal von den sogenanntencancelli gepredigt wurde.2 Diecancelli waren kunstvoll verzierte Platten aus Holz, Stein, oder Metall, die in einer christlichen Basilika den Altarraum vom Gläubigenschiff abgrenzten. Diese Platten gaben der Kanzel aber nur den Namen. Historisch haben sie wenig mit der heutigen Kanzel zu tun. Lediglich die Funktion des Predigens verband sie.

    Wie also kam der Gedanke eines Predigtstuhls, einer Kanzel, eines Predigt-Rednerpodests für das Predigtgeschehen auf? Um in diesem Buch einmal im westlichen Kontext zu bleiben, beginnen wir mit einem kurzen Blick in die griechisch-römische Antike.

    1. Kathedra und Thron als Predigtorte

      Schon in der Urkirche verlangten die Theologie und das Verständnis des bischöflichen Amtes einen besonderen Predigtort: den Sitz des Bischofs. Der Predigtstuhl. Die Idee eines besonderen Stuhls für Predigt oder für Lehre: sie ist keine christliche. Dasselbe gilt für einen erhöhten Ort als Rednerpodest: Auch dies ist keine primär christliche Erfindung. Die Urkirche knüpfte hierfür an jüdische und antike Traditionen an:

      • In jeder Synagoge gab es eine Stelle, von der aus der Rabbiner die Schrift deutete. Sie lag der hörenden Gemeinde gegenüber. Dort saßen die Rabbiner zur Predigt auf ihrem Lehrstuhl, der traditionell und rituell eine große Bedeutung besaß. Lehrstühle bzw. Kathedren waren die Ehrenplätze in der Synagoge, auf die sich die Schriftgelehrten drängten. Wer dort sitzen durfte, übernahm Aufgaben, die mit besonderen Ehren verbunden waren (vgl. Mt 23,6). Dabei wurde ein Stuhl immer hervorgehoben: der eigentliche Lehrstuhl, den die Jüd:innen vielfach mit der Kathedra des Mose identifizierten. Die »Kathedra des Mose« in der Synagoge bewahrte die Kontinuität der Lehre durch Jahrhunderte, und solange der Rabbiner mit ihr zu tun hatte, predigte er die Tora in der rechtmäßigen Nachfolge des Mose. Auf einer Kathedra war er eingesetzt worden. Es galt insofern als Axiom: »Wer amtlich lehrt, sitzt auf einem Sessel«.3
      • Dieser im Judentum übliche Brauch kennt Parallelen in der Antike. In jedem besseren Haus des Altertums standen Stühle für die Alten, die Frauen und die Gäste. Diesen Personen einen erhöhten Sitz zu geben, war eine Form der Höflichkeit. Und ebendiese Höflichkeit, Wertschätzung oder auch Ehrung fand Ausdruck in der Kathedra, die zum Symbol der Ehrung für die vor-sitzende Person und deren Machtautorität wurde: Könige oder Beamte be-setzten eine Kathedra für Regierungstätigkeit und Rechtsprechung. So ließ sich etwa der Staatsdiener Pontius Pilatus auf einem Stuhl nieder, damit er Jesus rechtskräftig verurteilen konnte (vgl. Joh 19,13). Auch zum Ausdruck von Lehrautorität wurde das Sitzen auf einer besonderen K