Keine Tricks!
Eine weitere Erklärungsvariante für die Entstehung von Religion bietet der Soziobiologe Richard Dawkins in seinem »Gotteswahn«. Er behauptet: Religion ist kein direkt angezieltes Ergebnis der natürlichen Auslese unter den ersten Menschen. Sie ist vielmehr eine Art Schadensfall der Evolution. Denn Religion ist nicht aufgrund eines direkten Überlebensvorteils entstanden, sondern stellt eine Fehlfunktion eines eigentlich nützlichen Mechanismus dar. Religiöses Verhalten ist ein »unglückseliges Nebenprodukt einer grundlegenden psychologischen Neigung«.9
Dawkins geht als Soziobiologe von den Mechanismen der Evolution aus: »Wie erfolgreiche Chicago-Gangster haben unsere Gene in einer Welt intensivsten Existenzkampfes überlebt.«10 Fitte Gene sind daher nach Dawkins von einem skrupellosen Egoismus geprägt: Sie tendieren dazu, in der nächsten Generation vermehrt präsent zu sein, um sich so im Lauf der Evolution immer mehr durchzusetzen.
Für die Fortpflanzung des Menschen – und damit für die Weitergabe der entsprechenden Gene – ist für Dawkins die Fähigkeit, sich zu verlieben, von Vorteil. Menschen, die von ihren Genen dazu vorprogrammiert sind, sich in einen Partner des anderen Geschlechtes zu verlieben, setzen sich aufgrund erfolgreicher Fortpflanzung gegenüber solchen Konkurrenten durch, denen die entsprechenden Gene fehlen. Das Schweben auf Wolke sieben geht nun mit ganz bestimmten Gehirnzuständen einher, bei denen chemische Substanzen ausgeschüttet werden. Diese wirken als natürliche Drogen auf das Gehirn ein. Sie verursachen das »Verliebtsein«, welches Dawkins als irrational kennzeichnet. Verliebt sein könnte als biologischer Mechanismus dafür sorgen, dem anderen Elternteil so lange treu zu bleiben, bis das gemeinsame Kind großgezogen ist.
Das Verliebtsein ist nach Dawkins nichts anderes als ein Trick der »egoistischen Gene«. Diese wollen immer nur das eine: ihr eigenes Fortbestehen auch in der nächsten Generation sicherstellen. Um ihrer eigenen Karriere willen haben die Gene den schönen Schein der Liebe erfunden. Die aufzuklärende Leserschaft müsse sich leider darauf einstellen: Die Liebe ist zu schön, um wahr zu sein. Ihr kommt keine Wirklichkeit zu. Sie ist lediglich eine überlebensdienliche Illusion, hinter der ein knallhartes genetisches Kalkül steht. Der Mensch fühlt sich selbstlos, sozial und liebevoll. In Wirklichkeit aber sind diese Gefühle nur das Resultat einer verborgenen Strategie. Die Mafia im genetischen Untergrund trickst den Menschen aus, um dann im Zeugungsakt das eigene Überleben zu sichern.
Dawkins kombiniert: Die Evolution hat im Gehirn einen »Irrationalitäts-Mechanismus« eingebaut, der es dem Menschen ermöglicht, sich zu verlieben. Der religiöse Glaube stellt ein ähnlich irrationales Phänomen dar wie die Liebe. Folglich ist Religion vielleicht als Nebenwirkung des Verliebtseins entstanden. Dawkins deutet also mit einem sexten Sinn Religion als Fortpflanzungsstrategie. Mystische Erfahrungen sind dann nichts weiter als evolutive »Trittbrettfahrer des Sex«.11 Letztlich verdanken sich religiöser Glaube und Liebe einzig und allein einer Taktik von »egoistischen Genen«.
Gene lassen Spielräume
Betrachten wir diese kecken Thesen genauer. Dawkins redet von Genen, als ob diese bis ins Detail Eigenschaften und Verhalten eines Menschen bestimmen würden. Doch das Genom (die Gesamtheit der Erbanlagen) legt nicht statisch fest, was für ein Mensch aus ihm wächst. Die Entwicklung eines Menschen ist ein offener Prozess, der auch auf die Gene zurückwirkt. Daher ist das Erbgut eines jeden in ständigem Umbau begriffen.12
Weiterhin stellt sich die Frage, warum die Gene einen derartigen Aufwand betreiben, wo doch in der gesamten Pflanzen- und Tierwelt die Sexualität auch ohne das Gefühl der Liebe ausgezeichnet funktioniert. Die moderne Gehirnforschung betont, dass die Evolution mit dem menschlichen Gehirn eine Struk