PROLOG
1931
Die einfachste Art des Verschwindens war, nie vollständig unterzutauchen, sondern stets an der Grenze des Gesehenwerdens zu lauern und sekundenschnell zu reagieren, sollte sich etwas bewegen. Wie sollte man in eine Falle tappen, deren Köder man selbst gelegt hatte. Wie sollte man etwas nicht wissen, wenn man das besagte Spielfeld entworfen hatte.
Alisa Montagowa blickte zur Eingangstür des Restaurants, während sie eine Tasse mit Tee füllte. Die Restaurantbesitzerin hatte die Fensterläden geschlossen, um die Kälte auszusperren. In wärmeren Monaten ließ sie sie offen und die Bambusblätter auf den Simsen warfen sanfte Schatten auf Gäste, die Treffen abhielten oder mit Liebhabern tranken. Sie befanden sich in einem kleinen Ort irgendwo westlich von Shanghai. Groß genug, um ein paar Stadtbewohner zu beherbergen, die hier und da Geschäfte tätigten – wodurch Alisa keine Aufmerksamkeit auf sich zog, wenn sie die Straßen durchstreifte – doch nicht so chaotisch, dass sie um vier Uhr nachmittags kein Restaurant mit einem freien Tisch in der Ecke finden könnte.
Alisa war gut im Verschwinden. Sie hatte es seit ihrer Kindheit geübt. Hatte im Haus herumgelungert und gelauscht oder sich in ganz Shanghai in versteckte Ecken gezwängt. Es wurde zu einer persönlichen Herausforderung, genügend Informationskrumen an vielen verschiedenen Orten zu sammeln, sodass sie sie zusammenfügen und sich durch all ihr Wissen schlau vorkommen konnte. Es war zwecklos, sich erst anzuschleichen, wenn Unterhaltungen bereits begonnen hatten. Sie musste ihnen drei Schritte voraus sein. Bereits im Schrank sitzen, wenn zwei entfernte Cousins in der Küche stritten. Vom Dachsparren hängen, wenn die alte Dame im Bordell vor ihren Mädchen im Hinterzimmer ü