EINS
Ladybird, ladybird,
Fly away home;
Your house is on fire,
Your children are gone.
– Irrer Reim. Den hab ich heute Morgen im Kopf. Was daher kommt, dass ich gestern versucht habe, Jen ein paar artikulierte Laute beizubringen. Warum man einem Kind überhaupt so was beibringen wollte, ist mir ein Rätsel. So viele dieser Kinderreime sind schauerlich, wenn man’s recht bedenkt.Here is a candle to light you to bed, and here comes a chopper to chop off your head. Ideal, um die Sprösslinge in den Schlaf zu lullen, vor allem, wenn der Reim von diesem berühmten Gebet gefolgt wird, in dem es darum geht, vor dem Aufwachen zu sterben. Vielleicht ist es aber auch gut so. Dann wissen sie schon mal, was sie erwartet. Welch ein Frohsinn am frühen Morgen, was, Stacey? Früher Morgen, von wegen. Es ist Viertel vor neun, und ich bin immer noch nicht angezogen.
Der Ganzkörperspiegel ist an der Schlafzimmertür. Stacey sieht darin reflektierte Bilder, entrückt durch das Glas wie Menschen im Fernsehen, weniger wirklich als die Wirklichkeit und doch schärfer, weil isoliert und limitiert durch einen Rahmen. Das Doppelbett ist ungemacht und auf einem Stuhl liegt ein Haufen ihrer Kleidung, nachlässig abgestreifte Strümpfe wie runde Nylonpfützen, der Hüfthalter in Form eines Reifens, so wie sie ihn ausgezogen hat. Auf einem anderen Stuhl liegt Macs schmutziges Hemd, ordentlich zusammengefaltet. Zwei Bücher wohnen auf dem Nachttisch –Der goldene Zweig undInvestitionenund Du, von ihr und von ihm, beide ungelesen. Verstreut auf dem Schminktisch inmitten von Fauler-Zauber-Cremes und Lippenstiften sind Fotos von Katie, Ian, Duncan und Jen in diversen Altersstufen. Über dem Bett hängt ein Hochzeitsfoto, Stacey mit dreiundzwanzig, beinahe schön, wobei sie damals nichts davon wusste, und Mac mit siebenundzwanzig, hoffnungsvoll souverän schlank, Agamemnon Herr der Männer oder das Pendant, zumindest in ihren Augen. Auf dem Bett sitzend, sieht Stacey sich gespiegelt, gegenwärtig und leibhaftig, nur unzulänglich bedeckt von einem kurzen malvenfarbenen Nylonnachthemd, bei dem die Schleife am Ausschnitt fehlt und die Schulterrüsche von einem der Kinder abgerissen wurde.
– Mein Gott, dieses elende Nachthemd ist schon uralt. Ich muss mir mal ein paar neue besorgen. Oder zumindest eins. Ganz so pleite sind wir ja nicht mehr. Ich hole mir heute zwei, beide todschick. Welchen Unterschied das machen wird? Keinen. Da, dieses verflixte Buch – warum liegt das auf meinem Nachttisch? Ich werde niemals dazu kommen, es zu lesen.Elementares Hintergrundwissen, sagte der Mann immer wieder. Er hatte es wahrscheinlich schon tausendmal gelesen. Wenn ich schon den soundsovielten Abendkurs belegen musste, warum dann ausgerechnetMythologie und Moderne? Hörte sich hochtrabend an, deshalb. Zwei Mal bin ich hingegangen. Rausgeschmissenes Geld.
Stacey betrachtet ihre Unterwäsche auf dem Stuhl, macht aber keine Anstalten, sich anzuziehen. Ihr Blick wird zurückgelenkt zum Spiegel.
– Alles wäre gut, wenn ich nicht so doof wäre. Wäre ich gebildeter, meine ich. Oder schön. Gut, das wär jetzt ein bisschen viel verlangt. Sagen wir, wenn ich ungefähr fünf Kilo abnehmen würde. Hör zu, Stacey, mit neununddreißig, nach vier Kindern, kannst du nicht verlangen, auszusehen wie eine Nymphe. Das vielleicht nicht, aber für Hüften wie meine gibt’s keine Ausrede. Ich wünschte, ich würde in irgendeinem Land leben, wo vollschlanke Frauen Mode sind. Alles wird gut werden, wenn die Kinder erstmal älter sind. Ich werde freier sein. Ja, und dann? Was zum Teufel ist eigentlich mit dir los? Esist doch alles gut.Es ist alles gut. Los, du fette Kuh, jetzt beweg mal deinen Hintern. In der Stadt ist doch Schlussverkauf. Im Radio lief Rek