: Sibylle Grimbert
: Der Letzte seiner Art Roman | Die bewegende Freundschaft eines Naturforschers zum letzten Riesenalk | »Ein unvergessliches Buch!« Brigitte
: Eisele eBooks
: 9783961611829
: 1
: CHF 10.80
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: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 256
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
»Berührender, klüger, kurz: besser kann ein Roman über das Verhältnis zwischen Mensch und Tier kaum sein.« Frankfurter Allgemeine Zeitung Was als wissenschaftliche Mission beginnt, entwickelt sich bald zu einer obsessiven Freundschaft. 1835: Der junge Zoologe Gus wird vom Naturhistorischen Museum in Lille nach Island geschickt, um die Fauna des Nordatlantik zu studieren. Dort wird er Zeuge eines Massakers an einer Kolonie von Riesenalken, einer pinguinähnlichen Vogelart.  Gus kann einen der Vögel retten, ohne zu ahnen, dass er gerade das letzte Exemplar seiner Art geborgen hat. Er nennt ihn Prosp - und zwischen dem neugierigen Forscher und dem anfänglich misstrauischen Tier entsteht eine tiefe Freundschaft. Gus wird nach und nach klar, dass er womöglich etwas Einzigartiges und Unvorstellbares miterlebt: das Aussterben einer Spezies. Was bedeutet es, ein Tier zu lieben, das es nie wieder geben wird? Gus entwickelt eine Obsession mit dem Schicksal seines gefiederten Freundes - eine Obsession, bei der alles andere auf der Strecke bleibt ... »Zum ersten Mal hat mich ein Charakter wirklich berührt, der nicht durch Sprache kommunizieren kann, der nicht menschlich ist. Ein beeindruckender Roman!« Michel Houellebecq

Sibylle Grimbert ist Schriftstellerin und Verlegerin. Für Der Letzte seiner Art war sie für den Prix Femina und den Prix Renaudot nominiert und wurde mit dem Prix Joseph Kessel und dem Goncourt des animaux ausgezeichnet. Sie lebt in Paris.

Nur die Bäuche hoben sich aus der Ferne wie weiße Flecken von der Felswand ab, darüber die glänzenden Schnäbel, krumm wie Raubvogelschnäbel, aber deutlich länger. Mit schaukelndem Gang tappten sie voran; sie schienen sich Zeit zu lassen, schienen vor jedem Schritt die Stabilität zu prüfen und den Körper mit einer Beckendrehung neu auszurichten. Auch die Männer kamen nur mühsam voran, suchten Halt auf dem klumpigen, aufgeweichten Boden der kleinen Insel, die Arme und Beine gespreizt, mit dem Rücken fast parallel zum Strand, wie überdimensionierte Krabben aufgereiht vor diesen Riesenalken, die dennoch bedächtigen Schrittes – was angesichts der Situation völlig unangebracht war – dem Ufer zustrebten.

Das Wetter war schön auf Eldey, diesem schroffen Felsen, von wo die Küste Islands noch gut zu erkennen war, jedenfalls besser als an gewöhnlichen Tagen, an denen die Wellen so hoch schlugen, dass auch ohne Regen immer etwas Feuchtes, Kaltes in der Luft lag und die Sicht trübte. An diesem Tag war der Himmel durch und durch grau. In seinem homogenen Licht war deutlich zu erkennen, wie sich am Meeresufer die Umrisse der Menschen und Tiere aufeinander zubewegten und wie sich die Männer - plötzlich sehr schnell - auf die Vögel stürzten, sie mit Knüppeln totschlugen oder unter ihren Körpern begruben und den noch zappelnden Tieren die Hälse umdrehten. Als sich die Mörder wieder aufrichteten, in ihren Fäusten die Köpfe der baumelnden Riesenalken, warfen sie die Tiere auf einen Haufen, wo die weißen Flecken zwischen Schnabel und Augen wie Schmetterlinge aussahen, die auf einem Aashaufen gelandet waren.

Die Szene dauerte nicht lange, ein paar Minuten vielleicht. Wie immer, wenn etwas Ungewöhnliches geschieht, kreisten die anderen Vögel, die noch fliegen konnten, deren Flügel nicht im Laufe friedlicher, glücklicher Jahrhunderte verkümmert waren, über dem Felsen und schrien. Während der Boden das Blut aufsog – von Weitem war jedenfalls nicht ein einziger roter Fleck zu sehen –, hinterließen die von den Männern achtlos zertrampelten Eier ihre glänzenden, glitschigen Spuren auf dem schwarzen Vulkangestein. Die meisten sammelten die Männer allerdings ein und legten sie vor die aufgetürmten Leichen derer, die ihre Eltern waren oder gewesen wären.

Je länger man die Szene an Bord des Fischerbootes oder der auf halber Strecke wartenden Schaluppe verfolgte, desto abstrakter wurde das Geschehen: Punkte unterschiedlicher Größe, die sich hinter dem durchsichtigen grauen Vorhang des Lichts auf geometrischen, monotonen Linien bewegten. Darüber vergaß man, dass es Lebewesen waren, Männer und Riesenalken. Die anfangs so fesselnde Szene wurde ein wenig langweilig. Doch dann brachte der Blick aufs Detail die Dinge wieder auf den Punkt, ein Bein, ein Schnabel, ein Vogel, übers Ufer geschleift wie ein totes Kind. Die Erinnerung an die Gesichter der Männer kehrte zurück, und einen Moment lang pochte der Puls dieser nie berührten, nie gespürten Tiere in der Brust und bis in die Hände der Seeleute hinein, die sich auf der Schaluppe und dem Fischerboot an der Reling festhielten.

Plötzlich war alles wieder still. Sogar die Männer auf der Felseninsel verstummten. Die Störung dessen, was wie eine kurze Ruhepause nach getaner Arbeit schien, kam von links: ein Felssturz, bei dem ein Stück aus der Steilwand brach. Dann ein unterdrückter Schrei. Ein Matrose ging auf die Felsen zu, nahm einen Stein, beugte sich nach vorn und wich so abrupt zurück, dass ihm der Stein aus der Hand fiel. Ein Schnabel hatte nach ihm geschnappt. Der Mann hob den Stein wieder auf, riss ihn in die Höhe und schleuderte ihn auf den Vogel. Ein dumpfes Geräusch folgte. Später auf dem Fischerboot würde er erzählen, dass ihn der Riesenalk, anstatt zu fliehen, regungslos angestarrt hatte, den krummen Schnabel über das Ei geschoben, das er ausbrütete. Der Mann bückte sich dann noch einmal und nahm den toten Vogel und das