Warum wir die Welt immer wieder falsch erklären
Nachdem wir im ersten Kapitel gesehen haben, dass wir allzu leicht unwissenschaftlich denken, kommen wir nun zu den wissenschaftlichen Erklärungen. Doch bevor wir uns an die gewichtigen Welterklärungen machen, fangen wir mit etwas Leichtem an: Wie funktioniert ein Fahrrad? Was denken Sie: Wo läuft die Kette entlang, wo die Rohre des Rahmens, wo sitzen die Pedale? Wenn Sie Lust haben und dieses Buch nicht nur als geistreiches Druckerzeugnis, sondern als praktisches Arbeitsbuch betrachten, nehmen Sie sich einen Stift und versuchen Sie, ein Fahrrad auf ein Blatt Papier zu zeichnen. Viel Glück!
Wenn Sie nun denken, das kann ja nicht so schwer sein, immerhin habe ich schon Tausende Fahrräder gesehen, dann Achtung: Im Detail wird es nämlich schwierig. Immerhin stellte die Psychologin Rebecca Lawson schon 2006 in einer wissenschaftlichen Studie diese Aufgabe, woraufhin knapp die Hälfte der Probanden eine falsche Zeichnung anfertigte.43 Und zwar waren diese Zeichnungen nicht nur ein bisschen falsch, sondern zum Teil groteske zweirädrige Verzerrungen echter Fahrräder – mit Pedalen am Vorderrad oder direkt unter dem Sattel oder mit zwei Ketten (eine am Hinter-, eine am Vorderrad). Zehn Jahre später wiederholte der Designer Gianluca Gimini mit 500 Probanden den Versuch und fand noch Verblüffenderes: Nur 370 Leute wollten überhaupt eine Zeichnung anfertigen, der Rest ärgerte sich so sehr über die eigene Unfähigkeit, dass er vorzeitig abbrach. Von denjenigen, die sich zu einer Zeichnung durchrangen, lag nur etwa ein Viertel richtig. Einige der Zeichnungen übersetzte Gimini anschließend in 3-D-Modelle, die wunderbar lustig und weltfremd anmuten.44 Wohlgemerkt: Die Leute sollten nicht kreativ sein, sondern einfach nur einen technischen Sachverhalt zeichnen, mit anderen Worten: erklären.
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