Prolog
Das schnellste Mädchen der Welt. Das will ich mal werden.
Hab ich heute Morgen beschlossen. Der Morgen war so richtig schön, sonnig, aber nicht zu heiß, mit weißen Wolken, die aussahen wie Mehlklöße hoch oben am strahlend blauen Himmel, mit Vögelchen, die um die Wette zwitscherten, und tanzenden kleinen gelben Schmetterlingen. Ich hatte gerade meinen Matrosenanzug angezogen und war dabei, mir die Schuhe zuzumachen, als die Tür aufging. Es war mein Daddy. Der Duke. So nennen ihn alle.
»Ich hab eine Überraschung für dich, Frechdachs«, sagte er. »Ein Geschenk.«
»Ein Geschenk? Aber ich hab doch noch gar nicht Geburtstag.«
»Ich brauch doch keinen besonderen Anlass, um meiner eigenen Tochter ein Geschenk zu machen. Wenn ich sage, heute ist Geschenketag, dann ist heute Geschenketag, basta. Und ich garantiere dir, dieses Geschenk wird dein Leben verändern.«
»Was ist es denn?«
»Na, na, du kleiner Naseweis. Du willst wohl, dass ich mich verplapper, was?« Der Duke redete mit seiner gespielt wütenden Stimme, und ich musste lachen. »Dann wär’s ja keine Überraschung mehr.« Er lächelte. »Oben im Kutschenhaus. Komm mit.«
Und wenn ich hundert Jahre alt werde, den Tag heute vergess ich nie. Der Duke nahm mich an die Hand, und wir gingen durch die Diele am Wohnzimmer vorbei, wo meine Stiefmutter Jane mit meinem Halbbruder Eddie Tonleitern auf dem Klavier übte. Er spielte furchtbar gern Klavier und guckte nicht mal in meine Richtung. In der Küche sagte ich der Alten Ida, das ist unsere Köchin, wohin wir wollten, und sie sagte, dass sie Überraschungen mag, und zupfte an einem von meinen Zöpfen. Dann gingen der Duke und ich raus in den Garten.
Wenn ich mich auf was Schönes freue, möchte ich am liebsten hüpfen – ich versteh nicht, warum so viele Leute ganz normal gehen, wenn sie auch hüpfen könnten –, aber heute Morgen wollte ich die Hand vom Duke auf keinen Fall loslassen, also riss ich mich ausnahmsweise mal zusammen und war brav, genau wie Jane mir das dauernd eintrichtert.
Der Duke und ich gingen an der Steinmauer vorbei, die wir zusammen für Jane gebaut haben, bevor Eddie geboren wurde. Sie ist niedrig wie eine Bank, sodass ich drauf sitzen kann, und breit genug, um drauf entlangzurennen und dann ganz hoch in die Luft zu springen. Hinter der Mauer sind Janes rosa und rot-weiße Pfingstrosen, die wie große Kugeln Eiscreme aussehen. Jane ist die Einzige, die sie pflücken darf.
Wir liefen die lange Einfahrt mit den großen Pappeln hoch, vorbei an unserem Hühnerstall und dem Eishaus und der Räucherkammer und dem Brunnenhaus. Die sind alle weiß gestrichen und haben grüne Blechdächer, genau wie das Große Haus, und sie stehen jetzt alle leer, weil wir unser Fleisch und unsere Eier im Ort kaufen und der Eismann Eisblöcke für den Eisschrank in der Küche bringt. Trotzdem, es macht Spaß, dort herumzustöbern. Eddie ist erst drei, fünf Jahre jünger als ich, aber wenn er mal alt genug ist, können wir bestimmt richtig toll Cowboy und Indianer da spielen.
Als wir an der Weide vorbeikamen, winkte ich den Kutschpferden, die friedlich grasten und mit ihren Schwänzen die Fliegen verscheuchten. Sie sind fett geworden, weil wir sie nicht mehr so oft einspannen, seit der Duke sich den Ford gekauft hat, das erste Automobil in ganz Claiborne County. Mir tun die Pferde ein bisschen leid, aber der Duke meint, dass bald nur noch Cowboys und Fuchsjäger und Zirkusreiter Pferde haben.
Das Kutschenhaus oben auf dem Hügel ist auch weiß und grün, und als wir endlich dort ankamen, wäre ich fast geplatzt vor Neugier auf meine Überraschung. Der Duke streckte die Hand nach dem Türgriff aus und sagte: »Mach die Augen zu,