Heiligabend,11.55 Uhr
»Und? Sehr aufgeregt?«
Pascal legte Elisabeth behutsam die Hand auf den unteren Rücken, das Kaschmir ihres hellblauen Pullovers fühlte sich flauschig an, und er schloss kurz die Augen, weil ihm diese Geste so vertraut war und seine Hand ganz warm wurde. Sie wandte ihm den Kopf zu und lächelte. »Wie immer zu Weihnachten, seit so vielen Jahren«, flüsterte sie.
»Fünfunddreißig«, antwortete er leise, und dann legte sich auch ein leichtes Lächeln auf seine Züge.
»Bereit?«
Sie nickte.
»Bereit.«
»Na dann …«
Sie traten zur Tür, und Pascal drehte den Schlüssel, dann öffnete er die schwere Holztür. Augenblicklich stoben ihnen die weißen Flocken entgegen, sie drängten in den Flur hinein, und sofort spürte Pascal die Kühle auf der Haut. Wenn es noch eines Zeichens dafür bedurfte, was ihnen heute bevorstand, dann war es die Schneeluft, die über Nacht ins Wallis geströmt war. So verharrten sie einen Moment im Türrahmen und betrachteten wortlos die Landschaft, die sich ihnen darbot: Um sie herum die Bergchalets mit ihren flachen Dächern und den rostroten Fensterläden, das Holz ganz verwittert von den vielen Jahren, in denen es monatelang der gleißenden Wintersonne ausgesetzt war. Noch waren einige grüne Stellen zu erkennen, aber der Rasen würde bald schneebedeckt sein. Und dann ging es ringsum steil bergan, die Berge umgrenzten ihr kleines Dorf, als wollten sie es bewachen. Pascal kannte sie alle: Eggishorn, Bettmerhorn, Breithorn, Galmihorn – und weiter hinten Jungfrau, Eiger und der Mönch. In Gedanken korrigierte er sich: Es war nicht so, als wollten die Berge es nur bewachen. Die Berge bewachten das kleine Dorf tatsächlich – seit so vielen Jahrhunderten vor Feinden, vor Wasserknappheit, vor Eindringlingen, vor Sturm. Es war ein Schutzort, schon immer. Deshalb zog es sie jedes Jahr um die Feiertage hierher, weil dieses Tal und seine geschützte Lage ihnen zur zweiten Heimat geworden war – ihnen beiden und ihrer ganzen Familie.
Unter ihnen im Tal lag das Dorf, all die Dächer wegen der Dachlawinengefahr flach und überhängend, selbst aus der Ferne waren die gewaltigen Eiszapfen zu erkennen, die sich über Nacht gebildet hatten und herunterhingen wie Schwerter.
Alle Häuser gruppierten sich um den alten Kirchturm von Ernen, die Turmuhr zeigte inzwischen zwei Minuten vor zwölf.
Ihr Haus lag auf einer kleinen Anhöhe am Ortsrand, hier gab es nur noch einige verstreute Chalets aus schwerem Holz, große dunkle Balken, die Schnee und Kälte draußen hielten. Der Hügel hinter dem Haus war schon tief verschneit, Pascal fragte sich, ob er die Kufen der Schlitten noch einmal wachsen sollte. Das gäbe eine Mordsgaudi.
»Und? Wer wird wohl als Erster kommen?«, fragte Elisabeth und sah auf ihre kleine goldene Armbanduhr. »Na, was meinst du?«
Er lächelte sie an. »Das ist die rhetorischste aller Fragen. Seit Christoph aus dem Haus ist.«
Denn natürlich hörten sie beide schon den schnurrenden Motor, der den Wagen