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Die moderne Datingmisere und ihr übersehenes Kernproblem
Was meine Paare mir erzählen
Carina sitzt im bequemen Sessel meiner Paartherapiepraxis und schaut abschätzig auf ihren Mann Udo. Zwei Sitzungen zuvor hatte sie »gestanden«, eine Affäre mit einem Türsteher des lokalen Clubs angefangen zu haben. Fünf Minuten vorher hat sich Udo beschwert, dass er doch alles für Carina machen würde, er trage sie doch nachgerade auf Händen. Außerdem habe er doch ein vernünftiges Leben und einen sicheren Job als Lehrer, das sei doch wohl besser als ein Türsteher. Carina wirft die Hände hoch und seufzt: »Du bist einfach viel zu nett und weißt nicht, was du willst. Ich fühle ›es‹ einfach nicht mehr.« Udo starrt seine Frau fassungslos an …
Was ist hier passiert?
Tatsächlich bin ich auf das Thema Polarität erstmals durch meine Klienten gestoßen. Auch war ich etwas gehirngewaschen von den 90er-Jahren, als der »Softie«-Mann als Ideal propagiert wurde. Ich versuchte mich dem anzupassen und führte meine eigenen mäßigen Datingerfolge auf ganz andere Dinge zurück. Vielleicht war ich ja einfach nicht nett genug? Aber ich spürte irgendwie – wie übrigens die meisten Männer meines Erachtens nach –, dass irgendetwas anderes die Ursache sein musste. Man bekommt schließlich auf die eine oder andere Weise mit, auf welche Typen Frauen stehen.
Meine Paare kämpften auch mit diesen gesellschaftlichen Erwartungen, aber wie so oft in der Paartherapie wurde auch hier kein Blatt vor den Mund genommen. Besonders in Einzelgesprächen forderten vor allem Frauen immer wieder, mehr Führungskraft von ihren Männern zu sehen. Selbst Frauen, die sehr »feministische« Berufe hatten. Der Mann solle doch endlich klare Entscheidungen treffen. Er solle nicht so weich und emotional sein. Nicht so viel nachfragen, sondern einfach machen. Doch mal den Jahresurlaub organisieren. Seine Frau beschützen, zum Beispiel vor übergriffigen Familienmitgliedern.
Das hörte sich nicht danach an, als ob sich die Frauen immer den gefühlvollen Softie an ihrer Seite wünschten. Wie erwähnt war es auch kein Einzelfall, bis heute höre ich das quasi ständig in der Paartherapie. Es gibt fast nichts, was ich öfter vernehme. Das Gegenteil kam mir übrigens noch nicht zu Ohren. Klar, manche Frauen hätten gern emotional offenere Männer als Partner. Aber ich habe noch nie im Rahmen meiner therapeutischen Arbeit gehört, dass ein »Softie« gewünscht wird.
Als besonders problematisch erweisen sich diese Wünsche, wenn sich die Beziehung durch Fremdgehen ohnehin schon in einer Krise befindet. Hier folgen zwei weitere Beispiele, die zwar recht ähnliche Ausgangssituationen hatten, aber jeweils einen ganz anderen Ausgang.1
Ulla und Tobias sind schon viele Jahre zusammen. Sie haben zwei Kinder in der Pubertät, und zwischen Erziehung und Hausbau ist irgendwie die Ehe aus dem Fokus geraten. Ein alter Schulfreund hat Kontakt mit Ulla aufgenommen, und alte Gefühle sind wieder an die Oberfläche gekommen. Tobias hat den Anspruch, ein moderner, verständnisvoller Mann zu sein, und so versucht er zunächst einmal zu verstehen, wo Ulla gerade steht. Obwohl ich ihm rate, eine klare Grenze zu ziehen und für sich einzustehen, will er »kämpfen«. Er akzeptiert, dass er einen Nebenbuhler hat, und glaubt seine Frau »überzeugen« zu können. Er bemüht sich ganz besonders um sie und kauft ihr jetzt oft Rosen. Abends werden lange Gespräche geführt, um das Ganze »aufzuarbeiten«. Ulla findet das irgendwie gut, trotzdem wird sie immer unsicherer, was sie denn nun will. Es wäre »logisch«, bei Tobias zu bleiben, aber der alte Freund entf