1 Die neue Normalität
Wissen Sie noch, wie alt Sie waren, als Sie das Wort »normal« zum ersten Mal im Zusammenhang mit Sex, Körpertyp, Geschlechtsorganen, sexuellem Verlangen, Liebe oder Verhalten gehört haben? Haben Sie es von Ihren Eltern, in den Medien oder von Freundinnen und Freunden gehört? Können Sie in Ihrer Erinnerung zurückgehen, um festzustellen, wann Ihre Definition von normal entstanden ist?
Jeder von uns hat eine andere Version der Dinge, die wir normal finden – je nachdem wo und wie wir aufgewachsen sind, welche Schönheits- und Verhaltensstandards uns von frühester Kindheit an vorgelebt wurden und wie wir diese Information aufgenommen haben. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass jemand mithilfe des kritischen Denkens überprüft hat, ob diese Botschaften zur »Normalität« auch tatsächlich korrekt sind. Stattdessen haben wir akzeptiert, dass wir bei der Körpergröße, dem sexuellen Verlangen, den körperlichen und emotionalen Entwicklungsprozessen und so weiter »erwarteten« oder »typischen« Normen zu entsprechen haben.
Es ist merkwürdig, dass wir unabhängig davon, wer wir sind und woher wir kommen, alle gelernt haben, uns an einer standardisierten »Norm« zu messen. Wenn jeder Mensch Farben anders wahrnimmt (was für mich Blau ist, bezeichnen Sie vielleicht als Türkis, Petrol oder Violett) und unsere Fingerabdrücke (und sexuellen Identitäten) einzigartig sind, warum verwenden wir dann alle den gleichen Normalitätsmaßstab?
Statt ein eigenes Bezugssystem für das aufzubauen, was wir normal finden, lernen wir unbewusst, uns im Hinblick auf Sexualität, Liebe und den eigenen Körper mit anderen und an kulturellen Erwartungen zu messen. Und das tun wirpausenlos.
Was wäre, wenn wir beschlössen, dieses unsichtbare »Normalitätsbarometer« über Bord zu werfen, und lernten, uns mit unserer Sexualität, unserem Körper, unseren Gefühlen und Wünschen wirklich wohlzufühlen? Jeder Körper, jedes Gehirn ist anders, und jeder von uns besitzt individuelle Maßstäbe für Wachstum, Körperform und Stimulation. Äußere Einflüsse veranlassen uns dazu, uns dafür zu schätzen, zu verurteilen und zu schämen, wer wir sind und wie »normal« wir sind.
Leider ist Scham ein wesentlicher Bestandteil des Prozesses, mit dem wir etwas über die Sexualität und das lernen, was wir als »normal« definieren. Von Kindheit an sorgen Sex und unser Körper oft dafür, dass wir uns schämen, schlecht und töricht fühlen. Wir geraten in eine Endlosschleife des Urteilens über uns und andere, basierend auf dem, was wir für »richtig« halten – also was uns nicht in Verlegenheit bringt oder uns aus der »Norm« herausstechen lässt.
In einer Kultur, die uns keinen Zugang zu authentischen Informationen über Sex, das Aushandeln von Beziehungen, Kommunikation oder Verlangen gewährt, ist es sehr verwirrend herauszufinden, was für uns persönlich normal oder richtig ist. Wir bekommen in erster Linie explizite pornografische Bilder zu sehen – aber erhalten nicht das emotionale Instrumentarium, sie zu entschlüsseln. Wir bekommen bereits in jungen Jahren oft unabsichtlich von unserer Familie und Gleichaltrigen beigebracht, uns für unseren Körper zu schämen. Und wir bekommen von den Massenmedien und der Literatur Bilder eingetrichtert, die uniforme Ideale untermauern, denen es nachzueifern gilt.
Ab wann hatten Sie eine bewusste Idealvorstellung davon, was bei der Penisgröße »normal« ist,