Kapitel 1
Wie soll ich das nur durchstehen?
Wenn dein Geist beschränkt ist, regst du dichsehr leichtüber Kleinigkeiten auf.
Lass deinen Geist zu einem Ozean werden.
Lama Yeshe1
Wenn du in einer Krise steckst, erscheint dir diese Situation vielleicht ziemlich unwirklich. Möglicherweise ist die Krise so plötzlich eingetreten, dass du immer noch unter Schock stehst. Oder sie hat sich schon lange angebahnt, und du hast dir Sorgen gemacht, dass etwas passieren könnte; aber jetzt, wo sie da ist, kannst du es trotzdem nicht fassen.
So erging es auch Jennifer. Sie und ihr Mann Brian waren seit zehn Jahren verheiratet, und obwohl sie in vielerlei Hinsicht gut zueinander passten – beide waren Lehrer, sie unterrichtete an der Grundschule, er am Gymnasium –, gab es oft Streit zwischen ihnen. Das kam sogar so häufig vor, dass Jennifer oft dachte, sie würden sich trennen; aber es gelang ihnen dann doch jedes Mal, eine Lösung zu finden. Sie gingen zur Paarberatung und lernten, respektvoller und einfühlsamer miteinander umzugehen; trotzdem kam es immer wieder aufs Neue zu Streitigkeiten. Und letztes Jahr – eine Woche nach dem Valentinstag, nachdem sie sich wieder mal einen ganzen Abend lang angeschrien hatten – wurde ihnen klar, dass ihre Ehe endgültig vor dem Aus stand. Als Brian die Wohnung verließ, um bei einem Freund zu übernachten, und Jennifer die Tür hinter ihm ins Schloss fallen hörte, setzte sie sich wie benommen auf die Couch. Was sollte sie jetzt tun? Wollte sie sich scheiden lassen? Und wie würde ihr Leben danach weitergehen? Konnte sie überhaupt eine bezahlbare Wohnung finden? Sie hatte keine Ahnung, was sie als Nächstes tun sollte, und fühlte sich verängstigt, verloren und am Ende ihrer Kraft.
Vielleicht ist dir genauso zumute wie Jennifer – und das ist auch gar nicht schlimm. Dieses Buch möchte nichts an deinen Emotionen ändern und dir auch nicht vorschreiben, wie du dich fühlen sollst, sondern dir dabei helfen, allem, was in deinem inneren oder äußeren Leben gerade passiert, mit Verständnis, Einsicht und liebevoller Freundlichkeit zu begegnen. Das kannst du erreichen, indem du zunächst mal einen Gang zurückschaltest und deinem Körper und deinem Herzen ruhige Aufmerksamkeit entgegenbringst. Vielleicht ist das das Allerletzte, was du tun möchtest, wenn du aufgeregt bist; und das kann ich auch gut verstehen, denn den meisten Menschen geht es so. Wenn du mitten in einem großen Problem steckst oder das Gefühl hast, dass sich eine Katastrophe anbahnt, drängt es dich wahrscheinlich dazu, sofort zu handeln: Entscheidungen müssen getroffen, Schwierigkeiten aus der Welt geschafft, Hindernisse beseitigt werden.
Doch bevor du etwas unternimmst, solltest du deinen Schock, deine Aufregung oder deinen Kummer zunächst einmal in den Griff bekommen, damit deine Handlungen von gesundem Menschenverstand getragen und nicht von deinem Seelenschmerz getrübt werden. Jennifers erster Impuls bestand zum Beispiel darin, im Internet nach einer Wohnung zu suchen, einen Anwalt zu finden und ein Glas Wein zu trinken. Dann rief sie ihre Schwester Teri an, die sich ihr verzweifeltes Schluchzen am Telefon anhörte und sagte: »Hör auf damit, Jen. Du musst dich um dich selbst kümmern.« Da entgegnete Jennifer ihr wütend: »Ich kümmere mich doch um mich selbst! Hörst du mir denn nicht zu?«
Wenn du so großen Kummer hast und so aufgewühlt bist, dass du nicht weißt, was du tun sollst, sondern einfach nur möchtest, dass der Schmerz aufhört, ist das ein Zeichen dafür, dass du deine Aufmerksamkeit mehr auf dich selbst richten solltest. Lege eine Hand a