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Lou saß mit einer Kaffeetasse in der Hand auf der Gartenbank vor ihrem kleinen Winzerhäuschen. »Was für eine Aussicht, nicht wahr, Michelin?«, schwärmte sie, beugte sich nach vorn und kraulte ihrem Vierbeiner den Kopf. Der Berner Sennenhund lag auf dem Boden und hatte wie so oft die Augen geschlossen, gleichgültig gegenüber der atemberaubend schönen Landschaft. In Lou hingegen breitete sich stets ein Gefühl tiefer Geborgenheit aus, wenn sie morgens ihren Blick über die steilen Weingärten schweifen ließ. Es war halb neun, der Tag unverbraucht, die Luft frisch, und die Sonne schien. Die grünen Blätter an den Rebstöcken waren um diese Jahreszeit so dicht, dass die Sonnenstrahlen nur durch kleine Lücken hindurchschimmerten und den Boden in sanftes Licht tauchten. Unter dem Blätterdach versteckten sich üppige Trauben mit saftigen Beeren, die jetzt schon Lust auf vollmundigen Wein machten. Die Pracht zog sich bis zur Donau hinunter, wo soeben ein Frachter, der flussaufwärts fuhr, in ihrem Blickfeld auftauchte. In so einem Moment berührte der Himmel die Erde, fand Lou.
Buschige Rosensträucher und ein Marillenbaum wuchsen vor ihrem Haus. Sie hatte es vor eineinhalb Jahren gekauft und mit Hilfe von Freunden und ihren Eltern restauriert. Es lag auf einer Lichtung oberhalb von Marienkirchen, eingebettet in Weinberge der örtlichen Winzer. Der Ausblick von hier war fantastisch.
»Hab ich dir eigentlich jemals erzählt, dass meine Familie hier schon seit fünf Generationen Wein anbaut? Beeindruckend, gell?«, stellte sie Michelin eine rhetorische Frage, woraufhin der Hund zumindest die Augen öffnete. »Ich bin sozusagen zwischen diesen Rebstöcken aufgewachsen.«
Ihre Eltern, Erika und Werner Conrad, hatten den konservativen Betrieb vor zehn Jahren auf biologischen und biodynamischen Landbau umgestellt und produzierten jetzt erstklassige Bioweine, die immer mehr Abnehmer fanden. Natürlich führte Lou diese im Sortiment ihres Delikatessengeschäftes mit dem NamenLous köstliche Welt.
Ihre Gedanken wanderten zurück zum Hausumbau. Im Zuge dessen hatte sie sich den Traum von einem gemauerten Holzbackofen im Freien erfüllt. Ebenso hatte sie eigenhändig den Tisch aus Ziegeln mit einer Steinplatte gebaut, der neben dem Backofen stand. Darauf thronte jetzt ein großer Korb mit sechs Bauernbroten, die sie gestern Abend gebacken hatte. Sie würde sie gleich mit in den Ort nehmen. Die Laibe waren die Basis der Häppchen mit unterschiedlichen Aufstrichen, die für die Kunden in ihrem Geschäft und für die Gäste des Weinherbstes auf dem Weingut ihrer Eltern zubereitet werden sollten.
Während sie den letzten Schluck Kaffee trank, betrachtete sie die Pfarrkirche aus dem späten dreizehnten Jahrhundert, deren Turm den Ort überragte. Der erhaltene Teil der mittelalterlichen Wehrmauer umschloss das Gotteshaus zur Hälfte. Ringsum drängten sich die Häuser des Ortskerns, von denen die meisten rote Ziegeldächer hatten. Eins davon war das vierhundert Jahre alte Gebäude, in dem sich Lous Delikatessenladen befand. Ihr Blick blieb am Dach der Bäckerei von Hedwig und Ernst Ast haften, die täglich um sechs Uhr öffnete. Dort gab es die besten Vollkornbrote, fand Lou.Franzis Café von Franziska Liber lag direkt daneben. Es öffnete um halb neun und schloss um halb acht Uhr abends. Die Konditorin kreierte regelmäßig neue Torten und Kuchen, die sie zuweilen Lou und ihrer Kollegin Sigrid ins Geschäft brachte. Zum Probieren und weil sie ihre Meinung