2
«Das war jetzt das dritte Mal. Zuletzt ist es Dienstagabend passiert, und davor Sonntagmorgen. Ich versteh nicht, was mit mir los ist.»
Johanna lag auf dem Sofa in meinem Dienstzimmer, denn im Besprechungsraum gab es nur Stühle. Ihr Puls hatte sich beruhigt, aber ihr Gesicht hatte immer noch keine Farbe, und sie war schweißgebadet.
«Du solltest besser mal zum Arzt gehen. Und heute auf jeden Fall nach Hause. Soll ich eine Streife fragen, ob sie dich fahren?»
Johanna ächzte. «Wenn die Kerle irgendwelche Witze über die Wechseljahre reißen, hau ihnen bitte den Spüllappen um die Ohren», trug sie mir auf. Ich versprach es. Johanna war einige Jahre jünger als ich, aber bei manchen setzten die Hitzewallungen schon mit vierzig ein. Allerdings gehörte Übelkeit meines Wissens nicht zu den Symptomen.
Unsere fünfköpfige KiJu-Abteilung stand schon seit dem Frühherbst stärker unter Druck als je zuvor. Wir waren auf Delikte spezialisiert, die von Minderjährigen begangen wurden oder gegen sie gerichtet waren, und die Fallzahlen waren in der Corona-Zeit explodiert. Die Finanzierung der Abteilung lief zum Jahresende aus, und anscheinend wusste niemand, wer sich danach um unsere ungeklärten Fälle kümmern würde. Wir alle wollten die kriminellen Aktivitäten von Biris’ Gang so weitgehend aufklären wie nur möglich. Daneben liefen Ermittlungen zu Gewalt an Schulen, Onlinemobbing und Grooming. Es hätte genug Arbeit für die doppelte Anzahl von Polizeikräften gegeben, aber selbst unser Schicksal lag noch im Dunkeln. Ich wusste nicht, wo ich Anfang des nächsten Jahres arbeiten oder ob ich vielleicht arbeitslos sein würde.
Kein Wunder, dass die Erschöpfung bei Johanna physische Symptome auslöste.
«Ich sollte mich heute mit Nadiina Järvinen treffen, der Freundin von Biris. Das Gespräch ist schon dreimal verschoben worden, mal wegen Nadiinas Bauchschmerzen, mal wegen Verdacht auf Corona», stöhnte Johanna.
«Dann wird es jetzt eben zum vierten Mal verschoben, falls Koivu nicht einspringen kann. Wann wolltet ihr euch treffen?»
«Ich hatte versprochen, sie zum Mittagessen einzuladen. Aber sie will nur mit einer Frau sprechen. Angeblich geht es um intime Dinge.»
Johanna versuchte aufzustehen, sank aber aufs Sofa zurück.
«Ist Bob den ganzen Tag eingespannt?»
Johannas Mann arbeitete als Wissenschaftler an der Aalto-Universität und hatte keine festen Dienstzeiten, dafür aber irrsinnig viele langweilige Sitzungen. Johanna versprach, Bob anzurufen. Vielleicht konnte er sie abholen, andernfalls würde eine der Streifen sie nach Hause bringen. Johanna schien sich weiter keine Sorge um ihren Zustand zu machen, aber ich wusste, dass ihr Arbeitstag mitunter bis zu sechzehn Stunden hatte. Das war ein Zeichen schlechter Führung, folglich lag die Schuld bei ihrer Vorgesetzten, also bei mir. Unser ganzes Team arbeitete voller Leidenschaft, doch manchmal zehrte die Arbeit an den geistigen wie den körperlichen Kräften, und dagegen halfen weder Betriebsausflüge noch die Sonntagsreden der obersten Polizeiführung.
Ich ließ Johanna auf dem Sofa zurück und ging nachsehen, was die anderen trieben. Ville Puupponen hatte am Morgen an einer Teamsitzung der Kinderschutzbehörde teilgenommen und war danach zur Aufgabenverteilung in den Besprechungsraum gekommen. Er berichtete, der Elfjährige, der seine Mitschüler bedroht hatte, habe den Polizisten ernster genommen als seine Lehrerin, die Rektorin oder seine Eltern.
«Ich habe also doch noch ein bisschen Autorität», grinste er und biss in einen Donut mit hellblauen Streuseln. Kristo informierte kurz über die aktuelle Situation