1. Crush
»Ist sie noch da?« Hastig packe ich die Schminkstifte zusammen, mit deren Hilfe ich während der letzten Stunden kleine Kinder in Kälber, Küken, Ferkel und die unvermeidlichen Einhörner verwandelt habe. Einhörner gehören zwar nicht zu den typischen Opfern der Massentierhaltung, aber ein bisschen Magie kann man immer gebrauchen.
Heute ist der letzte Tag des größten österreichischen Food-Festivals. Natürlich geht es hier nicht nur ums Essen. Vegansein ist ja auch nichtnur eine Diät. Es ist eine Lebensweise. Deshalb stehen hier auch die Zelte verschiedener Tierschutzorganisationen, es werden vegane Schuhe angeboten und jede Menge T-Shirts, Mützen, Sweater und andere Kleidungsstücke mit aufgedruckten veganen Statements.
Die Fahne mit dem Logo desFill up, unseres kleinen veganen Bistros, weht dieses Jahr zum ersten Mal vor einem Veganmania-Stand. Unsere hausgemachten Kuchen und Limonaden verkaufen sich so gut, dass wir letzte Nacht noch mal mehrere Bleche nachgebacken haben.
»Keine Sorge, dein Crush spricht noch.« Meine Cousine Zoe, die eben von einem schnellen Rundgang durch das Veganmania-Zeltdorf zurückkommt, grinst breit und beginnt, Kochlöffel, Rührschüsseln und Schneidbretter vorzubereiten. Ich schnappe mir einen der Holzlöffel und werfe damit nach ihr.
»Von Crush kann keine Rede sein«, erkläre ich würdevoll. »Aber wenn ich sie als Vorbild nehme, stottere ich vielleicht nächstes Mal nicht so rum, wenn mir jemand ein Mikrofon ins Gesicht rammt.«
»Du hast überhaupt nicht gestottert!«, protestiert Zoe. »Ich war so stolz auf dich! Ich hätte wahrscheinlich kein Wort rausgebracht.«
Die Frage kam nicht mal höflich daher: »Wie hilft das dem Klima, wenn ich auf mein Schnitzel verzichte, erklär mir das mal!«
Voreingenommener omnivorer Journalist auf der veganen Messe.
»Gar nicht«, habe ich geantwortet. »Aber Millionen Fleischesser, die auf Millionen Schnitzel verzichten, helfen sehr wohl.«
Das war tatsächlich einigermaßen schlagfertig von mir, finde ich.
Aber der Typ hat nur stur auf eine »richtige« Antwort gewartet. Ich möchte ja wissen, wieso der ausgerechnet jemanden fragen muss, der gerade einem Kind einen Schweinerüssel ins Gesicht pflanzt. Und nicht zum Beispiel die Leute vonGLOBAL2000 fünf Meter weiter, die ihm harte Fakten um die Ohren geschmettert hätten. Er war wohl gezielt auf der Suche nach jemandem, der sich bei der Antwort blamiert. Aber unterschätzt nie die kleinen Rothaarigen, wie meine Mum so schön sagt. Ich höre jede Menge Podcasts zu dem Thema und habe ein gutes Gedächtnis, bin also in Klimafragen sattelfest.
Deshalb konnte ich auch direkt fortfahren: »Wenn zum Beispiel jeder Deutsche nur einmal pro Woche Fleisch äße statt einmal täglich, könnte man acht Millionen Hektar Land bewalden, die derzeit als Anbaufläche für Tierfutter gebraucht werden. Mehr Wald bringt mehr Regen und kühlere Luft.«
Ich bin sicher, die nächste Frage hätte sich auf die österreichischen Zahlen bezogen, denn was gehen uns die deutschen Wälder und die deutschen Schnitzel an? Darauf hätte ich keine Antwort gehabt. Zum Glück hat sich das kleine Mädchen eingeschaltet, das gerade mitten in der Kind-Ferkel-Metamorphose steckte. »Weißt