Philipp von Becker:Transhumanismus als Abschied vom Individuum
Einleitung
War es früher der Mensch, der die Welt durchschritt, ist es heute die Welt, die den Menschen durchschreitet.
Karl Ove Knausgård
Things are getting better, but already each day is fantastic.
Nick Bostrom
In Platons Version des antiken griechischen Mythos von Epimetheus und Prometheus fällt Epimetheus bei Schaffung der Lebewesen die Aufgabe zu, diese mit bestimmten Eigenschaften und Fähigkeiten auszustatten. Doch als er zuletzt zum Menschen gelangt, hat er »unvermerkt schon alle Kräfte aufgewendet für die unvernünftigen Tiere«. Prometheus besieht das Werk von Epimetheus und findet den Menschen deshalb »nackt, unbeschuht, unbedeckt und unbewaffnet« vor.1 Und so stiehlt Prometheus von Hephaistos und Athene die »kunstreiche Weisheit« und das Feuer und bringt sie den Menschen. Aus dem wehr- und schutzlosen Menschen wird damit ein »Kulturwesen«, das sich fortan durch die Schaffung vonArtefakten, von Kleidung, Waffen und Werkzeugen in der Natur behaupten kann.
Auf dieser Anschauung des Menschen als von Natur ausdefizitärem, mit Wissenschaft und Technik jedoch besonders anpassungsfähig und dominant gewordenem Wesen baut der Transhumanismus sein Menschen- und Weltbild auf.2 Genuine Eigenschaft und (evolutionäre) Aufgabe des Menschen sei es, sich selbst und die Natur mit technologischen Mitteln zu transformieren und zu kontrollieren. Will man in diesem Sinne zugestehen, dass der Mensch mittels Technologie seine körperlichen und geistigen Fähigkeiten erweiterte und insofern tatsächlich immer schon ein ›Cyborg‹ war, kann der Transhumanismus als die radikalste Form eines alten, insbesondere seit der Neuzeit an Dominanz gewinnenden Strebens nach der Ausdehnung von Grenzen und Beherrschung der (menschlichen) Natur verstanden werden.
Die Radikalisierung dieses Strebens steckt in der Vorsilbetrans – also dem Über-etwas-hinaus – und speist sich vor allem aus den imaginierten wie realen Möglichkeiten des Instruments, in dem die techno-logische Entdeckungsreise des Menschen im vergangenen Jahrhundert vorerst gipfelte: dem Computer. Mit seiner Hilfe sollen nun alte Träume wie Unsterblichkeit und Aufhebung des Alterns materielle Wirklichkeit werden. Für Transhumanisten ist der Mensch nur eine (mangelhafte) Zwischenstufe der Evolution: Mittels neuer Technologien soll er nicht mehr nur optimiert, sondern gleich ganz überwunden werden. Final würden dann intelligente Maschinen an seine Stelle treten und das Universum mit »Superintelligenz« kolonisieren.3
Dies relativierend, muss angemerkt werden, dass esden Transhumanismus als einheitliches Gedankengebäude nicht gibt und nicht alle seiner Anhänger postulieren, der Mensch könne oder solle in eine neue Lebensform überführt werden. Was transhumanistische Positionen jedoch eint, ist das Streben nach einer maximalen Steigerung menschlicher Fähigkeiten durch technische Eingriffe. Im Folgenden wird nicht der Platz dafür sein, jegliche Denkrichtungen und Argumente der unter dem Begriff ›Transhumanismus‹ zusammengefassten Positionen sowie seine Ideengeschichte zu diskutieren. Stattdessen möchte ich anhand einiger zentraler Motive des transhumanistischen Denkens zeigen, dass es sich bei den Vorstellungen des Transhumanismus nicht um bloße Spekulationen über eine ferne Zukunft handelt, sondern um eine zugespitzte Form der ganz gegenwärtigen, (westlich-)modernen Art und Weise, sich auf die Welt zu beziehen. Diese basiert auf einer reduktionistischen, szientistisch-technokratisch