: Philipp von Becker, Stefan Lorenz Sorgner
: Lea Mara Eßer
: Transhumanismus
: Westend Verlag GmbH
: 9783864898891
: 1
: CHF 9.80
:
: Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
: German
: 96
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Der Transhumanismus verfolgt das Ziel, die Grenzen der menschlichen Natur zu überschreiten - körperlich wie geistig. Durch den Einsatz verschiedener Technologien sollen die Leistungsfähigkeit erhöht, verlorene Fähigkeiten ersetzt oder gar neue erfunden werden. Aber ist diese Erweiterung des Menschen tatsächlich eine Verbesserung oder nicht viel eher eine Abkehr vom gerade Menschlichen und so Hinwendung zur Maschine? Während Stefan Lorenz Sorgner davon überzeugt ist, dass in dieser Überschreitung die Chance einer besseren Welt und eines optimierten Lebens liegt, warnt Philipp von Becker vor den Gefahren eines technologiegetriebenen Transhumanismus als letztem großem Traum eines sinnentleerten, autoritären Kapitalismus, der Überwachung und Entmenschlichung auf die Spitze treibt. Wer sich eine kritische und fundierte Meinung zu den drängenden Fragen unserer Zeit bilden will, kommt an der Reihe 'Streitfragen' nicht vorbei!

Philipp von Becker, geboren 1979, lebt als Filmemacher und Autor in Berlin. In seinem Buch"Der neue Glaube an die Unsterblichkeit. Transhumanismus, Biotechnik und digitaler Kapitalismus" befasst er sich mit den Möglichkeiten der technischen Transformation des Menschen und dem gesellschaftlich-ökonomischen Wandel durch die Digitalisierung. 2018 reiste er für ein Filmprojekt zu gesellschaftlichen Veränderungen durch neue Technologien durch China. In seinem jüngsten Dokumentarfilm"Fukushima und die Mopsfledermaus" wirft er einen (wachstums-)kritischen Blick auf die Energiewende in Deutschland.

Philipp von Becker:Transhumanismus als Abschied vom Individuum


Einleitung


War es früher der Mensch, der die Welt durchschritt, ist es heute die Welt, die den Menschen durchschreitet.

Karl Ove Knausgård

Things are getting better, but already each day is fantastic.

Nick Bostrom

In Platons Version des antiken griechischen Mythos von Epimetheus und Prometheus fällt Epimetheus bei Schaffung der Lebewesen die Aufgabe zu, diese mit bestimmten Eigenschaften und Fähigkeiten auszustatten. Doch als er zuletzt zum Menschen gelangt, hat er »unvermerkt schon alle Kräfte aufgewendet für die unvernünftigen Tiere«. Prometheus besieht das Werk von Epimetheus und findet den Menschen deshalb »nackt, unbeschuht, unbedeckt und unbewaffnet« vor.1 Und so stiehlt Prometheus von Hephaistos und Athene die »kunstreiche Weisheit« und das Feuer und bringt sie den Menschen. Aus dem wehr- und schutzlosen Menschen wird damit ein »Kulturwesen«, das sich fortan durch die Schaffung vonArtefakten, von Kleidung, Waffen und Werkzeugen in der Natur behaupten kann.

Auf dieser Anschauung des Menschen als von Natur ausdefizitärem, mit Wissenschaft und Technik jedoch besonders anpassungsfähig und dominant gewordenem Wesen baut der Transhumanismus sein Menschen- und Weltbild auf.2 Genuine Eigenschaft und (evolutionäre) Aufgabe des Menschen sei es, sich selbst und die Natur mit technologischen Mitteln zu transformieren und zu kontrollieren. Will man in diesem Sinne zugestehen, dass der Mensch mittels Technologie seine körperlichen und geistigen Fähigkeiten erweiterte und insofern tatsächlich immer schon ein ›Cyborg‹ war, kann der Transhumanismus als die radikalste Form eines alten, insbesondere seit der Neuzeit an Dominanz gewinnenden Strebens nach der Ausdehnung von Grenzen und Beherrschung der (menschlichen) Natur verstanden werden.

Die Radikalisierung dieses Strebens steckt in der Vorsilbetrans – also dem Über-etwas-hinaus – und speist sich vor allem aus den imaginierten wie realen Möglichkeiten des Instruments, in dem die techno-logische Entdeckungsreise des Menschen im vergangenen Jahrhundert vorerst gipfelte: dem Computer. Mit seiner Hilfe sollen nun alte Träume wie Unsterblichkeit und Aufhebung des Alterns materielle Wirklichkeit werden. Für Transhumanisten ist der Mensch nur eine (mangelhafte) Zwischenstufe der Evolution: Mittels neuer Technologien soll er nicht mehr nur optimiert, sondern gleich ganz überwunden werden. Final würden dann intelligente Maschinen an seine Stelle treten und das Universum mit »Superintelligenz« kolonisieren.3

Dies relativierend, muss angemerkt werden, dass esden Transhumanismus als einheitliches Gedankengebäude nicht gibt und nicht alle seiner Anhänger postulieren, der Mensch könne oder solle in eine neue Lebensform überführt werden. Was transhumanistische Positionen jedoch eint, ist das Streben nach einer maximalen Steigerung menschlicher Fähigkeiten durch technische Eingriffe. Im Folgenden wird nicht der Platz dafür sein, jegliche Denkrichtungen und Argumente der unter dem Begriff ›Transhumanismus‹ zusammengefassten Positionen sowie seine Ideengeschichte zu diskutieren. Stattdessen möchte ich anhand einiger zentraler Motive des transhumanistischen Denkens zeigen, dass es sich bei den Vorstellungen des Transhumanismus nicht um bloße Spekulationen über eine ferne Zukunft handelt, sondern um eine zugespitzte Form der ganz gegenwärtigen, (westlich-)modernen Art und Weise, sich auf die Welt zu beziehen. Diese basiert auf einer reduktionistischen, szientistisch-technokratisch