1. KAPITEL
Mühelos ließ Elizabeth Stephens die Finger über die Violinsaiten gleiten, doch je länger sie spielte, desto stärker verspürte sie jene altbekannte Sehnsucht in sich aufsteigen – den Wunsch, selbst im Mittelpunkt einer Feier zu stehen, anstatt immer nur für die Hintergrundmusik zu sorgen, so wie in diesem Moment.
Als ihr bewusst wurde, dass sie mal wieder in Selbstmitleid ertrank, verzog sie schuldbewusst das Gesicht. Beruflich konnte sie sich wirklich glücklich schätzen. Immerhin konnte sie sich mit ihrem Job nicht nur über Wasser halten, sondern sogar noch etwas Geld auf die Seite legen. Klar würde sie sich in absehbarer Zeit keine Jacht leisten können, aber sie kam mehr als über die Runden, während andere in ihrem Berufsfeld ihren Traum entweder ganz aufgaben oder das Musikmachen nur noch als Hobby betrieben.
Sie hingegen lebte ihren Traum, Musikerin zu sein. Zurzeit spielte sie zum Beispiel in einem MusiktheaterAnatevka und machte mit einem sechsköpfigen Ensemble Filmmusik für eine romantische Sitcom mit dem TitelMehr als Mitbewohner. Außerdem trat sie bei Hochzeiten, Jubliäen, Abschlussfeiern und anderen Privatfesten auf.
Elizabeth setzte ein Lächeln auf, während sie und die vier anderen Musiker, die für Barry Edelsteins Bar-Mitzwa engagiert worden waren, einen weiteren Song anstimmten.
Doch nicht der Dreizehnjährige, der seine religiöse Mündigkeit feierte, löste in ihr das unangenehme Gefühl aus, immer nur am Rand des Geschehens zu stehen und zu spielen, während alle anderen um sie herum sich prächtig amüsierten. Nein, es war die ältere Schwester des Jungen, Rachel. Die schöne Brünette schien keinen Blick für ihre Umgebung zu haben – die Musik eingeschlossen –, weil sie viel zu beschäftigt damit war, einem jungen Mann tief in die Augen zu sehen.
Elizabeth beobachtete die beiden neidisch. Sie tanzten so eng, dass jeder sehen konnte, wie verliebt sie waren. Und dass sie nur Augen füreinander hatten.
Elizabeth unterdrückte einen Seufzer. Wann habe ich auch endlich mal eine Liebesbeziehung? fragte sie sich voller Selbstmitleid.Wann erlebe ich endlich meine eigene Romanze?
„Alles okay, Lizzie?“, flüsterte ihr Kollege Jack Borman ihr zu und beugte sich zu ihr herüber. Jack spielte Keyboard und hatte ihr schon zahlreiche Jobs vermittelt. Leider machte er keinen Hehl daraus, dass er sich auch privat für sie interessierte, was absolut nicht auf Gegenseitigkeit beruhte.
„Alles in Ordnung“, antwortete Elizabeth. Geschieht mir ganz recht, dachte sie. Sie war zum Spielen gekommen und nicht, um andere um etwas zu beneiden, das ihr fehlte. Außerdem würde dieses Paar in einem Jahr vielleicht gar nicht mehr zusammen sein, und dann waren die beiden überhaupt nicht mehr zu beneiden. Nichts war so schmerzlich wie der Verlust eines geliebten Menschen.
Schluss damit, schalt Elizabeth sich innerlich.Was ist eigentlich los mit mir?
Sie sollte sich darüber freuen, ihren Traum vom Musikmachen verwirklicht zu haben, anstatt über das nachzugrübeln, was sie nicht hatte. Seit wann war sie so negativ?
Außerdem muss man sich verdammt gut überlegen, was man sich wünscht, schon vergessen?
Elizabeth wandte den Blick von dem verliebten Paar ab und schloss die Augen, um den Anschein zu erwecken, sich ganz der Musik hinzugeben. In Wirklichkeit wollte sie nur den Blickkontakt mit Jack vermeiden. Sie war ihm sehr dankbar für die Jobs, die er ihr vermittelte, aber noch dankbarer wäre sie, wenn er endlich einsehen würde, dass sie nur Freunde sein konnten. Sonst würde sie ihm noch ziemlich direkt sagen müssen, dass sie sich absolut nicht zu ihm hingezogen fühlte, eine Vorstellung, die ihr sehr unangenehm war.
Erschrocken riss sie die Augen auf, als sie Jack an ihrem Ohr flüstern hörte: „Ich gebe nachher noch eine kleine Privatparty. Falls du Interesse hast …“, fügte er bedeut