1. KAPITEL
„Wenn ich die Zeit um ein paar Jahrhunderte zurückdrehen könnte“, sagte Serafina mit einem Seufzen, „würde ich noch heute meine Vorfahren zur Rede stellen und sie fragen, warum sie gerade Champagner trinken und opulente Feste feiern, statt sich um den Palazzo zu kümmern. Wer weiß, vielleicht wäre er dann in einem akzeptablem Zustand.“
„Ist es wirklich so schlimm?“, fragte Alessia.
„Schlimmer.“
„Vielleicht sollte ich dir statt Kaffee einen Gin Tonic anbieten.“
„Um zehn Uhr morgens?“ Serafina schüttelte den Kopf. „Alkohol ist keine Lösung. Aber gegen einen doppelten Espresso hätte ich nichts einzuwenden.“
„Kommt sofort.“
Serafina nahm am Küchentisch Platz, während die Freundin sich an ihrer neuesten Errungenschaft, einer ultramodernen Espressomaschine, zu schaffen machte.
Seit dem Tod ihres Vaters vor sechs Monaten war Serafina kaum zur Ruhe gekommen. Erst die Organisation der Trauerfeier, dann endlose Behördengänge, es hatte kein Ende genommen. Dazu noch die schockierende Erkenntnis, dass der Treuhandfonds der Ardizzone leer war – und vor allem,weshalb er leer war.
Der Termin mit der Bank an diesem Morgen hatte auch nicht geholfen.
Während der Kaffee durch die Maschine lief, stellte Alessia einen Teller mit Gebäck auf den Tisch. „Erst isst du ein halbes Dutzend, dann reden wir weiter“, befahl sie.
Bussolai! Serafinas Lieblingsplätzchen. Ringförmig, butterweich und nach Zitrone duftend, zergingen sie auf der Zunge. „Danke, Lessi, du bist die Beste.“
„Frisch gebacken nach Nonnas Rezept. Ich nehme an, die Bank hat abgelehnt.“
Serafina zuckte die Schultern. „Es ist ganz einfach: kein Einkommen, kein Darlehen. Mein Businessplan für die Zukunft des Palazzo, komplett mit den voraussichtlichen Ausgaben und Einnahmen, hat sie nicht beeindruckt.“ Sie schob sich ein weiteres Plätzchen in den Mund. „Dazu schulde ich noch einen Teil der Erbschaftssteuer, und mein einziger Aktivposten ist der Palazzo.“
„Warum verkaufst du ihn dann nicht? Selbst im derzeitigen Zustand dürfte er einiges wert sein.“
„Der Palazzo ist Fideikommiss. Du weißt, was das bedeutet? Er gehört der Familie, nicht mir. Als Contessa Serafina Ardizzone bin ich zwar offiziell Oberhaupt und Treuhänderin, darf ihn aber nicht verkaufen. Verpachten oder vermieten ist ausgeschlossen, weil er die Sicherheitsbestimmungen und Auflagen der Baubehörden nicht erfüllt. Und zum Restaurieren fehlen mir die Mittel.“ Frustriert schüttelte sie den Kopf. „Hätte ich mit achtzehn gewusst, was ich heute weiß, hätte ich nicht Kunstgeschichte, sondern Jura studiert und wäre Anwältin geworden. Eine von denen, die genug verdienen, um sich so ein teures Hobby leisten zu können. Sogar eine Maurerlehre wäre mir jetzt nützlicher als ein Diplom in Kunstgeschichte.“ Sie lächelte schief. „Aber ich bin immer davon ausgegangen, dass Geld keine Rolle spielt und dass ich studieren kann, was mir Spaß macht. Womit ich keinen Deut besser bin als meine vergnügungssüchtigen Vorfahren.“
Gewiss, sie könnte wie jene die Verantwortung von sich schieben und es dem nächsten Erben überlassen, damit klarzukommen. Und niemand könnte ihr deswegen Vorhaltungen machen. Der Palazzo würde von Ja