1. KAPITEL
„Ein Job“, sagte Caitlin Taylor wohl zum hundertsten Mal. Sie unterbrach sich beim Hochrollen ihrer feinen Seidenstrümpfe und verdrehte die Augen. „Ich hoffe, du und Gott, ihr amüsiert euch gut auf meine Kosten, Dad. Jetzt warst wirklich du es, der zuletzt gelacht hat.“
Ihr Herz zog sich schmerzlich zusammen, wie so oft in diesem Monat, nachdem ihr Vater unerwartet an Nierenversagen gestorben war. Es würde vielleicht nicht ganz so wehtun, dachte sie, wenn du dein Vermögen nicht an alle bis auf mich, deine einzige Tochter, verteilt hättest. Stattdessen hatte er ihr einen Job vermacht. Aber wenigstens das hatte er getan.
Caitlin stand in ihrem hellblauen Satin-Unterkleid vor dem hohen Spiegel. Ihr naturgewelltes kurzes blondes Haar sah trotz all der Mühe, die sie sich damit gab, wie immer aus, als ob sie gerade aus dem Bett gestiegen wäre. Ihr kurvenreicher Körper ließ sich durch keine gymnastischen Übungen in gertenschlanke Formen zwingen. Ihre dunkelbraunen Augen wirkten heute Morgen verschlafen, und sie hatte sie vorsichtshalber sorgfältig mit Eyeliner und Mascara betont.
Kurzum, sie sah aus wie eine wunderschöne Frau, der die Welt zu Füßen lag.
Wenn es doch nur so wäre!
Caitlin lachte freudlos auf und kämpfte entschlossen gegen den ungewohnten Anflug von Panik an. Sie hatte in ihrem ganzen Leben noch nie Geld verdienen müssen. Was materielle Dinge betraf, hatte ihr Vater sein einziges Kind verzogen. Doch da er ständig auf Geschäftsreisen gewesen war oder mit wichtigen gesellschaftlichen Verpflichtungen beschäftigt gewesen war, hatte sie nur wenige Erinnerungen an ihn.
Die Mode war ihre erste Liebe gewesen, und ihr Vater hatte ihr darin nachgegeben. Sie kannte Mailand, Paris, New York und Los Angeles wie ihre Westentasche; es waren sozusagen ihre Spielplätze gewesen. Sie hatte in Paris und New York bekannte Schulen für Mode und Design besucht, aber die Wahrheit war leider, dass sie nicht talentiert genug war, um es in der unbarmherzigen Welt der Haute Couture zu etwas zu bringen. Doch sie war deswegen nicht müßig geblieben, ganz im Gegenteil. Sie entwickelte ein besonderes Talent darin, gesellschaftliche Veranstaltungen zu organisieren, obwohl das nicht als richtige Arbeit galt und ihr auch kein Geld einbrachte.
Ihr Vater hatte darauf geachtet, dass sie weiterhin im Luxus leben konnte, indem er jeden Monat eine beachtliche Summe auf ihr Konto einzahlte. Das hatte bei seinem Tod abrupt geendet, und jetzt musste sie notgedrungen zusehen, wie sie allein zurechtkam.
Da alle ihre Kreditkarten ungültig geworden waren und sie gerade noch so viel auf dem Konto hatte, um eine Monatsrate für ihr Haus an die Bank zu zahlen, steckte sie in ernsthaften Schwierigkeiten. Deshalb war sie nun gezwungen, ihren Stolz herunterzuschlucken und den schlecht bezahlten Job anzunehmen, den ihr Vater ihr in seinem Testament vermacht hatte.
„Ein Bürojob“, sagte Caitlin mit einem weiteren humorlosen Lachen, das ihre Verwirrung und ihren Schmerz nicht verbarg. „Dabei kenne ich nicht einmal den Unterschied zwischen einem Faxgerät und einem Scanner.“
Sie ging zu ihrem überquellenden Wandschrank und seufzte. Im nächsten Monat würde sie ihrem Strandhäuschen hier in Südkalifornien Lebewohl sagen und in einer trüben kleinen Wohnung leben müssen. Erneut überkam sie heiße Bitterkeit beim Gedanken an den Verrat ihres Vaters. Warum nur? fragte sie sich verzweifelt. Warum hatte ihr Vater sie ihr ganzes Leb