: Alexander Leistner
: Soziale Bewegungen Entstehung und Stabilisierung am Beispiel der unabhängigen Friedensbewegung in der DDR
: Herbert von Halem Verlag
: 9783744510912
: 1
: CHF 43.60
:
: Politische Soziologie
: German
: 412
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Alexander Leistner geht in seiner Studie der Frage nach, wie soziale Bewegungen als eine fragile Form sozialer Ordnung entstehen und sich stabilisieren. Eine hier vorgeschlagene biographietheoretische Bewegungsforschung liefert analytische Bausteine, um diese Form der Ordnungsbildung zu fassen. Dabei kommen gesellschaftliche und biographische Konfliktkonstellationen in den Blick, in denen Engagement entsteht. Es werden die sozialen Kontexte herausgearbeitet, in denen es sich (pfadabhängig) stabilisiert. Schließlich wird gezeigt, dass Schlüsselfiguren sozialen Bewegungen als informelle Rollenordnung eine (relativ) stabile Gestalt geben. Alexander Leistner entwickelt damit ein analytisches Instrumentarium zur Historisierung sozialer Bewegungen und wendet dieses exemplarisch und damit auch als Beitrag zur Zeitgeschichte auf die unabhängige Friedensbewegung in der DDR (und deren Entwicklung nach 1989) an. Zur Untersuchung wurden biographische Interviews mit langjährigen Aktivisten und Aktivistinnen geführt und um weitere Zeitzeugnisse ergänzt.

Dr. Alexander Leistner ist wissenschaftlicher Referent in der Fachgruppe 'Politische Sozialisation und Demokratieförderung' des Deutschen Jugendinstituts. Er studierte Soziologie, Evangelische Theologie und Erziehungswissenschaft an der TU Dresden. An der Universität Leipzig promovierte er mit der hier vorliegenden Studie im Fach Soziologie. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Konflikt- und Gewaltforschung, soziale Bewegungen, Kultursoziologie und Qualitative Methoden der Sozialforschung.

2 Soziale Bewegungen: Prekäre Ordnungsbildung und die Bedeutung des Langzeit-Engagements am Beispiel der unabhängigen Friedensbewegung in der DDR


„Eine Erklärung sollte ihren Ausgang davon nehmen, das zu erklärende Phänomen so genau zu beschreiben, dass klar ist, worin der erklärungsbedürftige Tatbestand besteht.“

(Schimank 2008, S. 210)

In diesem Kapitel wird gezeigt, dass die Frage nach den Bedingungen für die Stabilisierung des Engagements sich nicht von der Frage trennen lässt, was soziale Bewegungen sind, wie sie entstehen, sich stabilisieren und wieder verschwinden. Wichtige Ansätze für die Erklärung der Entstehung und Entwicklung von sozialen Bewegungen liefert der Blick auf die Biographien der Aktivisten.

Was wird aus einer sozialen Bewegung, wenn Erfolg und Bedeutung von einst verblassen; wenn die politischen Rahmenbedingungen, unter denen sie entstand, sich wandeln; wenn der Kalte Krieg beendet und die Mauer gefallen, wenn die unmittelbare Kriegsbedrohung gewichen ist und sich militärische Gewalt nunmehr fernab in den Kriegen und Kleinstkonflikten dieser Welt blutig austobt; wenn die Wut und Angst von damals verpufft und die Empörung glatt geschliffen ist; wenn der Idealismus der immer noch Aktiven abgekämpft klingt, zuweilen melancholisch und nicht selten verbittert?

Was wird aus einer sozialen Bewegung? Diese Frage stellte der ZEIT-Journalist Christof Siemes im Jahr 2002 der gesamtdeutschen Friedensbewegung angesichts der drohenden Irak-Invasion und besuchte für eine große Reportage verschiedene Gruppen und Initiativen in Ost und West. Und auch wenn es in seinem Porträt nicht um die ostdeutschen Gruppen der 1980er Jahre geht, so ist das Beispiel doch exemplarisch für das hier verhandelte Grundproblem. Siemes’ Antwort lautet – und man mag hier an die Stagnation der Friedensgruppen in Ost und West nach der beschlossenen Pershing-II-Stationierung denken: Die Friedensbewegung schmilzt zusammen auf einen heterogenen Kern von wenigen Gruppen und Langzeitaktivisten. Sie hält Winterschlaf. Mit Blick auf die öffentlichkeitswirksamen Proteste gegen die Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen in den 1980er Jahren in der Bundesrepublik schreibt der Journalist:

„Die letzten Mutlanger Pershings ve