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Maddentide
Willst du allein gehen?
Murtagh warf Dorn einen fragenden Blick zu.
Der rote Drache hockte zusammengekauert neben ihm auf dem felsigen Hügel, auf dem sie gelandet waren. In der schwindenden Abenddämmerung war das Glitzern der Drachenschuppen nur gedämpft zu sehen, wie mit Asche bedeckte Glut, die auf einen Windhauch wartet, um neu aufzulodern.
»Was? Willst du mich etwa begleiten?«
Dorn öffnete den Kiefer zu einem wölfischen Grinsen und entblößte Reihen scharfer weißer Zähne, jeder so lang wie ein Dolch.Warum nicht? Sie fürchten uns ohnehin. Sollen sie doch schreien und sich verkriechen, wenn wir kommen.
Die Gedanken des Drachen hallten wie der Klang einer Glocke durch Murtaghs Geist. Er schüttelte den Kopf, während er sein Schwert Zar’roc von der Hüfte löste. »Das würde dir wohl gefallen, was?«
Dorns Kiefer öffnete sich noch weiter und er fuhr sich mit der rauen Zunge über die Lefzen.Vielleicht.
Murtagh konnte sich beinah bildlich vorstellen, wie Dorn durch eine schmale Straße stapfte, mit seinen gepanzerten Schultern an den Häuserwänden entlangschrammte, Gebälk, Fensterläden und Simse zertrümmerte, während die Menschen vor ihm flohen. Murtagh wusste, wie das enden würde, mit Feuer und Blut und gewaltiger Zerstörung.
»Ich denke, du wartest besser hier.«
Dorn schüttelte seine samtenen Flügel und es grollte tief in seiner Kehle. Das war seine Art, zu lachen.Vielleicht solltest du die Magie nutzen, um die Farbe meiner Schuppen zu ändern. Dann könnten wir so tun, als wären wir Eragon und Saphira. Das wäre doch ein Spaß?
Murtagh prustete, während er Zar’roc auf einer trockenen Stelle im Gras ablegte. Er war überrascht gewesen, als er herausgefunden hatte, dass Dorn einen ausgeprägten Sinn für Humor besaß. Das war nicht so offensichtlich gewesen, als sie ihre Verbindung eingegangen waren. Zum Teil hatte es an Dorns Jugend gelegen, zum Teil aber auch an den … Umständen.
Einen Moment lang verdüsterte sich Murtaghs Stimmung.
Nein? Falls du es dir anders überlegst …
»… wirst du es als Erster erfahren.«
Hm. Dorn stupste das Schwert mit dem Maul an.Ich wünschte, du würdest deinen Reißzahn mitnehmen. Deine Klaue. Deinen geschärften Kummer.
Murtagh wusste, dass Dorn nervös war. Das war er immer, wenn Murtagh ihn verließ, und sei es nur für kurze Zeit. »Mach dir keine Sorgen. Ich komme schon klar.«
Eine blasse Rauchwolke stieg aus den geblähten Nüstern des Drachen auf.Ich traue diesem Schleicher mit dem Haifischmaul nicht.
»Ich traue niemandem. Außer dir.«
Und ihr.
Murtagh zögerte, während er zu den Satteltaschen trat, die an Dorns Flanken hingen. Ein Bild von Nasuadas mandelförmigen Augen blitzte vor seinem inneren Auge auf. Ihre Wangenknochen. Zähne. Teile, die kein Ganzes ergaben. Eine Erinnerung an ihren Duft, begleitet von Sehnsucht und Trauer, ein schmerzliches Fehlen von etwas, das hätte sein können und jetzt verloren war.
»Ja.« Er hätte Dorn nicht anlügen können, selbst wenn er es gewollt hätte. Dazu waren sie zu eng miteinander verbunden.
Der Drache war so freundlich, das Gespräch wieder auf sicheres Terrain zu lenken.Meinst du, Sarros hat irgendetwas Interessantes erschnüffelt?
»Es wäre besser, wenn nicht.« Murtagh nahm ein Knäuel braune Schnur aus der Satteltasche.
Und wenn doch? Fliegen wir dann dem Sturm entgegen oder davor weg?
Ein schmales Lächeln umspielte Murtaghs Lippen. »Das hängt davon ab, wie heftig der Sturm wird.«
Das ist vielleicht nicht so offensichtlich. Der Wind kann täuschen.
Murtagh maß ein Stück Schnur ab. »Dann schnüffeln wir weiter herum, bis es offensichtlich wird.«
Hm. Solange wir den Kurs noch ändern können, wenn es nötig ist.
»Hoffen wir es.«
Dorns ihm zugewandtes Auge erglühte wie ein tief liegender Rubin, blieb auf Murtagh gerichtet, während der das Stück Schnur abschnitt und damit Zar’rocs Parierstange an Gürtel und Schwertscheide festband, damit das blutrote Schwert nicht herausrutschen konnte. Dann steckte er Zar’roc in die Satteltasche, wo es sicher verborgen war, und trat vor Dorn.
»Ich bin vor Tagesanbruch zurück.«
Der Drache blinzelte und duckte sich, als mache er sich auf einen Angriff gefasst. Mit seinen gebogenen Krallen