Kapitel 2
Realität
Jack hatte recht. Trotz seiner praktisch nicht vorhandenen Deutschkenntnisse dauerte es keine sechs Tage und schon hatte er eine Festanstellung in einem kleinen Club einen Bezirk weiter. Die meisten Gäste konnten Englisch und wenn es doch mal Probleme gab, half ihm ein Kollege mit der Übersetzung.
Der Inhaber hatte ihn mit Handkuss genommen, auch wenn er nicht viel zahlte. Dafür erkannte er aber die US-Empfehlung als gleichwertig dem sonst üblicherweise vorgeschriebenen Lehrgang und der Sachkundeprüfung nach §34a Bewachungsgewerbe in der Gewerbeordnung an. Jack durfte sich nun also voller Stolz als Fachkraft für Schutz und Sicherheit betiteln, doch seine Arbeitszeiten waren katastrophal.
Der Club hatte nur montags und dienstags geschlossen, sonst öffnete er um achtzehn Uhr. Das hieß für Jack Open-end-Schicht, bis der letzte Gast den Laden verließ. Dies führte dazu, dass er morgens meist erst gegen acht Uhr zurückkam und dann bis nachmittags schlief, bevor er sich wieder fertigmachen musste. Essen tat er mit seinen Kollegen vor Ort und wir sahen uns fast gar nicht mehr.
Doch sollte ich meckern? Im Gegensatz zu ihm hatteich esnicht geschafft, irgendwo einen Job zu bekommen. Ich hatte keine nennenswerten Talente und so gesehen auch nichts wirklich gelernt. Die kurze Zeit in Sullivans Firma war ich mit Kaffeekochen, Sortieren von Papieren sowie dem Anfertigen von Kopien und Tee beschäftigt gewesen. Als Model durfte ich mich auch nicht zeigen, selbst wenn ich nach dem fetten Modemagazincover sicher Aufträge bekommen hätte.
Wir waren bereits praktisch pleite. Kochen konnten wir beide nicht, also aßen wir irgendwelche Fertiggerichte und das ging ganz schön ins Geld. Außerdem hatten wir nie gelernt, vernünftig zu haushalten.
Mit Jonahs altem Handy, das er mir mitgegeben hatte, versuchte ich es in mehreren Firmen, bewarb mich auf alles, was irgendwie zu meiner Empfehlung passte und pries mich als Grafiker, Web-Designer und dergleichen an. Meist schickte ich meine Bewerbung bei Interesse direkt über das Herbergsfax. Doch selbst wenn mich jemand zurückrief, ungeachtet dessen, dass ich keine Ausbildung vorzuweisen hatte, scheiterte es spätestens an meinen Programmkenntnissen.
Ich hatte null Ahnung von InDesign, QuarkExpress, Photoshop oder auch einfach nur Excel. Ich wusste nicht mal, wie man eine E-Mail verschickte. In Freienstädt hatten wir zwar ein Computerkabinett, aber das mied ich wie die Pest, weil es dort nach verschwitzten Klöten stank und außerdem hatte es ja auch noch keinen Internetzugang. Selbst in meiner angefangenen Ausbildung als Logistiker hatte ich lediglich ein beschränktes Transport Management Programm vor der Nase und lernte nebenbei, eine Textverarbeitungssoftware zu benutzen!
Es war einfach zum Mäusemelken. Nach zwölf Tagen schlurfte ich deprimiert durch den Flur. In dem winzigen Zimmer fiel mir die Decke auf den Kopf und ich war völlig untervögelt, weil Jack viel zu müde für Sex war, wenn er morgens von seiner Schicht zurückkam. Nicht mal kuscheln durfte ich mit ihm, weil er dann geil wurde und nicht mehr schlafen konnte.
Im Endeffekt holte ich mir dreimal am Tag einen runter. Zum einen aus Langeweile, zum anderen aus Frust. Ansonsten las ich oder schrieb irgendwelchen Mist, um meine Gedanken zu ordnen.
»Hey Muchacho«, rief mir Miriam belustigt entgegen.
»Ich hab dir schon mal gesagt, dass ich kein Mexikaner bin!«, knurrte ich sie an und holte mir am Getränkeautomaten neben dem Empfang eine Dose.
»Oops! Was ist dir denn für ´ne Laus über die Leber gelaufen?«
Ich grummelte nur und lehnte mich zu ihr an die Theke. Sie war seit Tagen meine einzige Gesprächspartnerin, auch wenn sich ihre Fragen meist nur auf Jacks Bizeps bezogen oder um eine Etage tiefer drehten. »Ich hab immer noch keine Arbeit und Brandons Gehalt reicht vorne und hinten nicht für uns beide. Ich denke, ich werde irgendwo einen Aushilfsjob machen müssen.«
»Ja, gut dass du es sagst! Die nächste Miete wäre morgen fällig und ich kann euch auch nicht auf Dauer mit meiner Karte durchschmuggeln. Also einmal geh