Kapitel 1 - Friede, Freude, Keuschheitsgürtel
Wir verlassen den Balkon und gehen gesittet zurück ins Schloss.
»Brunhildedie Zarte?« Lachend stößt mich mein großer Bruder an. »WäreBrunhilde die Arglose nicht passender gewesen?« Uhrich ist immer so gemein, aber sicher sagt er diese Dinge nur, weil er seiner Liebe zu mir nicht anders Ausdruck verleihen kann. Er ist halt ein bisschen naturblöde, der Gute. Kichernd hält er sich die Hand vor den Mund. »So flach, wie sie ist, wäre auchBrunhilde das Brett gut gewesen!«
»Höret auf mit den Späßen, Ulli![Fußnote 2] Das ist eine ernste Angelegenheit!«, maßregelt ihn unsere Mutter widerwillig. Sie tut das nämlich äußerst ungern und schaut beim Laufen über ihre Schulter. »Müssen wir erst wieder Euren Prügelknaben züchtigen, damit Ihr Eurer Schwester Respekt zollt?«
Leider empfindet mein Bruder selten Mitleid für das arme Schwein, welches für ihn die Hosen herunterlassen muss. Manchmal glaube ich sogar, er macht absichtlich etwas Unziemliches, um sich an der Züchtigung des Prügelknaben zu ergötzen, denn seine knielange Pluderhose spannt sich dann immer so seltsam nach vorn.
»Aber Mutter, wir belieben doch nur zu scherzen!«, entschuldigt er sich sofort und ich habe keinen Zweifel an der Ehrlichkeit seiner Worte. Er tätschelt mir nämlich versöhnlich den Kopf und wirft seine nussbraunen Haare zurück, die nur halb zu einem Zopf eingeflochten sind.
Wir erreichen den Salon, doch unsere Mutter wendet sich uns erst gänzlich zu, als die Bediensteten den Raum verlassen. Dann schürzt sie die Lippen und zuppelt an seinem Hemdkragen herum.
»Ullischnulli, ich erwarte, dass Ihr unserem Brunhildchen den Rücken stärkt und ihr allzeit mit helfender Hand zur Seite steht!« Dabei kneift sie in seine Wangen, so wie sie es öfter tut. Wahrscheinlich sind seine Bäckchen deshalb immer so rosig.
»Selbstverständlich!« Uhrich legt seinen Arm um mich, wartet, bis unsere Mutter zufrieden nickt und an einem der kleinen Tische Platz nimmt, um sich ihren Tee kredenzen zu lassen. Dann erst flüstert er mir zu: »Habt keine Bange. Wenn demnächst Euer Schoß geweitet wird, passe ich gerne auf, dass Euch die Pfeife Eures Auserwählten nicht verletzt und halte Eure Lippen auseinander.«
»Es ist sehr liebenswürdig von Euch, dass Ihr derart besorgt um mich seid.« Manchmal denke ich, er redet wirr und weiß gar nicht, was ich ihm antworten soll. Es würde mich schon beunruhigen, wenn mein Zukünftiger der Raucherei frönt, schließlich möchte ich nicht, dass er krank wird, aber mein Bruder muss doch nicht verhindern, dass er mich küsst?
Uhrich lacht ein wenig stupide und fläzt sich dann auf die große Chaiselongue, auf der ihm gleich von einer fleißigen Kammerzofe die Schuhe ausgezogen und die Füße massiert werden.
Es ist wirklich seltsam. Seit seiner Pubertät, in der ihmeine der Mägdedie Lanze gelutscht hat, wie er es ausdrückte, hat er sich vollkommen verändert. Ich verstehe gar nicht, warum sie das tat, schließlich gibt es dafür doch Putzlappen. Doch für ihn war es wohl ein bedeutsames Geschehnis. Früher hat er viel mit mir im Schlossgarten gespielt, gesungen und gemalt, doch inzwischen tun wir nichts mehr gemeinsam. Natürlich verstehe ich, dass er jetzt die Pflichten eines Königs erlernt und viel Zeit mit dem Schwertkampf verbringt, aber es ist trotzdem schade. Auch in naher Zukunft werden wir nicht mehr viel miteinander zu tun haben, denn er wurde im letzten Jahr mit einer Prinzessin aus dem Fernen Osten verlobt. Die Heirat wird jedoch erst stattfinden, wenn sie ihr achtzehntes Lebensjahr erreicht hat und über das Meer schiffen kann, was ja reichlich Kraft erfordert.
»Wir beginnen am morgigen Tage mit den Vorbereitungen, Brunhilde!«, ergreift mein Vater das Wort und reißt mich aus meinen Gedanken. »Ich erwarte von Euch, dass Ihr ein treffliches Gesangsstück zu Eurer Verlobung einstudiert und einhundertprozentige Folgsamkeit leistet! Ihr werdet Euch benehmen, wie es sich für eine Prinzessin geziemt, Euch von Eurer besten Seite zeigen und immer lächeln!« Er kommt zu mir und hebt wohlwollend mein Kinn. »Aber ich bin mir sicher, dass ich mich auf mein kleines Mädchen verlassen kann, nicht wahr?«
»Natürlich, ehrwürdiger Vater!«, antworte ich gehorsam und deute einen Knicks an. Dann beginne ich aber zu hibbeln, denn ich möchte endlich wissen, ob sich die Arbeit der letzten Tage gelohnt hat. »Wie fandet Ihr denn unsere Darbietung? Ich habe lange an der mittleren Passage gearbeitet und hoffe, es hat Eure Ohren erfreut!«
»Meine war viel schwerer!«, ruft Uhrich natürlich gleich wieder dazwischen.
Unsere Mutter setzt sich neben ihn und gibt ihm einen feuchten Kuss, während sie seinen Oberschenkel tätschelt. »Ja, ihr wart beide ganz zauberhaft!«
***
Drei Wochen späte