Katrin Seddig, *1969
Ich bin zweiundfünfzig Jahre alt. Manchmal meinen irgendwelche Leute sagen zu müssen: „Wirklich? Das hätte ich nicht gedacht.“ Ich weiß dann nicht, was diese Leute wirklich gedacht haben, aber ich weiß, was diese Worte sollen: Ein Kompliment an mich sein. Obwohl ich zweiundfünfzig Jahre alt bin, sehe ich aus wie achtundvierzig. Es ist gesellschaftlicher Konsens, dass es schlechter ist, zweiundfünfzigjährig auszusehen als achtundvierzigjährig. Das gilt besonders für eine Frau. Jedes Jahr sieht sie wieder ein Jahr schlechter aus und es kann in dieser Hinsicht nur ein Ziel geben: die Welt zu täuschen.
Warum? Ein Jahr unseres Lebens ist dafür bestimmt, uns zweiundfünfzigjährig aussehen zu lassen, wir haben diese einjährige Chance, zweiundfünfzig zu SEIN. Warum sollen wir diesen Sachverhalt vertuschen wollen? Was ist das für ein Unsinn, der uns stolz erröten lässt, wenn jemand uns für jünger hält oder es wenigstens vortäuscht?
Meinen fünfzigsten Geburtstag eröffnete ich mit den Worten: „Wenn ich mich so umsehe, dann sind hier alles alte Leute, wie kann das nur sein?“ Es war ein Scherz, aber es war auch die Wahrheit. Um mich herum waren meine Freund*innen, gerade waren sie noch jung gewesen, und wie ich sie so alle beisammenstehen sah, war es mir ganz deutlich, dass sie es nicht mehr waren. Es erfüllte mich mit einer großen Zärtlichkeit. Wir werden sterben, dachte ich, aber jetzt sind wir noch hier. Wir feiern meinen Geburtstag, wir feiern mein Alter.
Meine Mutter hat in ihrem Leben sehr viel Schürze getragen. Vielleicht deshalb habe ich sie nie als jung empfunden, obwohl sie es gewesen ist, eine junge Mutter. Viel jünger als ich, als ich mein erstes Kind bekam, aber ich bin mir sicher, sie hat nie die Absicht gehabt, jemanden über ihr Alter zu täuschen. Sie hat möglicherweise nicht einmal jung sein wollen. Das Jungsein ers