: Bettina Balàka
: Wechselhafte Jahre - Schriftstellerinnen übers Älterwerden
: Leykam Buchverlag
: 9783701182954
: 1
: CHF 16.90
:
: Anthologien
: German
: 208
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Älter werden. Ein Buch über Freiheit und Verlust, Freundschaften, Kämpfe und Beziehungen - kurzum, ein Buch über das Leben. Menopause, Wechseljahre - und danach kommt allenfalls noch eine Existenz als Großmutter oder Pflegerin. So wird jedenfalls oft über Frauen jenseits der Fünfzig gesprochen. Doch wie sieht ihr Alltag tatsächlich aus? Wie gehen sie mit Veränderungen um und wie viel Befreiung geht mit dem Alter einher? Das Leben von Frauen spielt sich im öffentlichen Diskurs primär in der ersten Lebenshälfte ab. Alles danach wird als unerfreuliche Lebensphase abgetan, über die man nicht spricht. Dabei eröffnet sich gerade in der zweiten Hälfte eine ungeahnt neue Seite des Lebens. Schriftstellerinnen schreiben realistisch wie humorvoll über das Gute und weniger Gute, über Erwartbares und Unerwartetes, über Neuanfänge und Aufbrüche. Mit Beiträgen von Marlene Streeruwitz, Barbara Honigmann, Katja Oskamp, Barbara Frischmuth, Katrin Seddig, Linda Stift, Barbara Hundegger, Sabine Scholl, Marianne Gruber, Zdenka Becker, Alida Bremer, Ruth Cerha, Renate Welsh, Ulrike Draesner und Bettina Balàka.

Bettina Balàka, 1966 in Salzburg geboren, lebt als freie Schriftstellerin in Wien. Zahlreiche Buchveröffentlichungen, Theaterstücke und Hörspiele. Vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Georg-Trakl-Förderungspreis für Lyrik 2018 und dem Theodor-Körner-Preis 2004. Zuletzt erschien ihr erstes Jugendbuch »Dicke Biber« Leykam 2021), das mit dem Kinderbuchpreis für junge Leser*innen ausgezeichnet wurde. www.balaka.at

Katrin Seddig, *1969

DIE GESTANDENE FRAU


Ich bin zweiundfünfzig Jahre alt. Manchmal meinen irgendwelche Leute sagen zu müssen: „Wirklich? Das hätte ich nicht gedacht.“ Ich weiß dann nicht, was diese Leute wirklich gedacht haben, aber ich weiß, was diese Worte sollen: Ein Kompliment an mich sein. Obwohl ich zweiundfünfzig Jahre alt bin, sehe ich aus wie achtundvierzig. Es ist gesellschaftlicher Konsens, dass es schlechter ist, zweiundfünfzigjährig auszusehen als achtundvierzigjährig. Das gilt besonders für eine Frau. Jedes Jahr sieht sie wieder ein Jahr schlechter aus und es kann in dieser Hinsicht nur ein Ziel geben: die Welt zu täuschen.

Warum? Ein Jahr unseres Lebens ist dafür bestimmt, uns zweiundfünfzigjährig aussehen zu lassen, wir haben diese einjährige Chance, zweiundfünfzig zu SEIN. Warum sollen wir diesen Sachverhalt vertuschen wollen? Was ist das für ein Unsinn, der uns stolz erröten lässt, wenn jemand uns für jünger hält oder es wenigstens vortäuscht?

Meinen fünfzigsten Geburtstag eröffnete ich mit den Worten: „Wenn ich mich so umsehe, dann sind hier alles alte Leute, wie kann das nur sein?“ Es war ein Scherz, aber es war auch die Wahrheit. Um mich herum waren meine Freund*innen, gerade waren sie noch jung gewesen, und wie ich sie so alle beisammenstehen sah, war es mir ganz deutlich, dass sie es nicht mehr waren. Es erfüllte mich mit einer großen Zärtlichkeit. Wir werden sterben, dachte ich, aber jetzt sind wir noch hier. Wir feiern meinen Geburtstag, wir feiern mein Alter.

Meine Mutter hat in ihrem Leben sehr viel Schürze getragen. Vielleicht deshalb habe ich sie nie als jung empfunden, obwohl sie es gewesen ist, eine junge Mutter. Viel jünger als ich, als ich mein erstes Kind bekam, aber ich bin mir sicher, sie hat nie die Absicht gehabt, jemanden über ihr Alter zu täuschen. Sie hat möglicherweise nicht einmal jung sein wollen. Das Jungsein ers