Kapitel 2 - Entdeckung
Einige Wochen zuvor.
„Sir Arnþórr, ich schwöre Euch, es ist nichts mehr übrig.“
Mein Vater baute sich auf, schrie den vor ihm knienden, hageren Schneider an und war noch ungehaltener als sonst. Wer konnte es ihm verübeln?„Esmuss etwas übrig sein! Könnt Ihr auch nur im Ansatz ermessen, welche Hebel ich in Bewegung gesetzt habe, um an diese Medikamente zu kommen?“
„Sir, die Packungen waren leer, als ich den Karren fand. Was nicht eingeschweißt war, hat der Regen zerstört. Es tut mir ...“
„Welche Diebe nehmen denn die Pillen mit und lassen das Trockenfleisch liegen? Das ergibt keinen Sinn! Ihr habt sie für Eure Frau gestohlen, gebt es doch zu! Jeder weiß, dass sie krank ist.“
Der ältere Mann zerknautschte vor Nervosität seinen vorgehaltenen Hut zusammen und starrte auf den Boden, weil er es nicht wagte, meinem Vater in die Augen zu sehen.
„Ich schwöre es Euch, mein Herr! Ich fand die Lieferung so vor, wie Eure Männer sie sahen. Ich würde nie wagen etwas zu entwenden, das Euer Eigentum wäre.“
Man sah, dass er log. Der Alte machte jeden Tag seinen morgendlichen Spaziergang, um dem Gekeife seines Hausdrachens zu entkommen. Er hatte den mörderischen Schauplatz als Erster gefunden und wäre ein Narr gewesen, sich nichts von der Fracht zu nehmen, die der Lehnsherr sonst für unverschämte Preise verschacherte. Nur war er danach so dumm, den anderen von seinem Fund zu erzählen.
Mein Vater setzte sich schnaubend auf den erhobenen Stuhl seines Podestes und fuhr mit den Fingern durch seinen angegrauten Bart. Er wirkte verbittert. Sein stoisches Gesicht legte sich in Falten, als er nachzudenken begann.
Ich hätte den Typen ja vierteilen lassen, aber meinen Eifer habe ich nicht von ihm geerbt und bin schon oft dafür zur Rechenschaft gezogen worden.Er saß einfach nur da und überlegte.
„Geht und packt Eure Sachen. Ihr seid vom Schutz meiner Burg verbannt“, grollte er schließlich und winkte mit der Hand Richtung Tür.
„Nein! Mein Herr, bitte … ich … ich habe nichts getan. Ich bitte Euch, es wardas Monster! Bitte ...“, jammerte der Schneider flehend, während er unter den Augen einiger Mitbürger von den Schergen meines Vaters hinausbefördert wurde.
Ich saß quer über meinem Stuhl und sah dem heulenden Mann gelangweilt hinterher.
Mein alter Herr wusste, dass eine Verbannung einem Todesurteil gleichkam, denn ein Hänfling wie der Schneider würde keine drei Tage da draußen überleben.
Die Burg meines Vaters lag abgelegen von den Städten. Die Räume waren nicht sonderlich warm, doch ihre dicken Mauern boten Schutz. Er, einst der Direktor des historischen Museums in diesen Hallen, war relativ schnell zum Anführer unserer kleinen Zweckgemeinschaft aufgestiegen. Er war intelligent und in kürzester Zeit lernten die Menschen, sich wieder selbst zu versorgen, so wie damals.
Damals … das klingt wie vor einer Ewigkeit. Dabei ist es noch gar nicht so lange her.
Damals war die Welt noch in Ordnung.
Ich könnte im Kreis kotzen, wenn ich so etwas lese. Wir kennen diese oder ähnliche Sätze von unseren Großeltern, doch ich bin noch nicht mal dreißig und denke jedes Mal in derartigen Floskeln, wenn ich mir Fotos anschaue und dann aus dem Fenster sehe.
Wir alle haben Bücher gelesen, Filme und Serien geschaut, die uns das Unausweichliche näherbringen sollten. Und? War irgendjemand darauf vorbereitet? Nein!
Selbst die ganzen Weltuntergangsschwachmaten, die tonnenweise Dosenfutter in ihrem Keller horteten und den unmittelbar bevorstehe