Einleitung
WATERLOO, LONDON(sonnig, aber kalt)
Die Erde dreht sich, der morgendliche Berufsverkehr ist in vollem Gange.Tripp-trapp, hasten die Menschen vorüber,klipp-klapp, die Treppe hoch, auf die Brücke, über die Themse, in die Londoner City zur Arbeit. Männer und Frauen streben entschlossen in dieselbe Richtung. Leute aus der Finanzbranche in Anzug und Krawatte, Kreative in Jackett und Jeans, IT-Typen und all jene, die nicht den kompetenten Powertypen herauskehren wollen, in Jeans und T-Shirt. Mit dem beruflichen Dresscode bei Frauen bin ich nicht so vertraut, aber ich denke, dass es etwas Ähnliches gibt, vielleicht feinere Unterscheidungsmerkmale, die mir nicht auffallen, jedenfalls nicht bewusst (eine Freundin, die mal in einem Louis-Vuitton-Geschäft gearbeitet hat, hat mir erzählt, dass die Verkäuferinnen darauf trainiert waren, eine Frau, die den Laden betrat, nach ihren Haaren zu beurteilen, nicht nach ihrem Outfit. Tadellos sitzende Frisur mit abgerissener Kleidung = exzentrische Aristokratin. Nur abgerissene Kleidung = Obdachlose).
Wie dem auch sei, ich jedenfalls gehöre nicht zu denen, die sich fröhlich auf den Weg ins Büro machen, in Jeans und T-Shirt (oder in meinem Fall eher Jackett und Jeans). Warum nicht? Weil ich eine Woche lang auf den Hund meiner Nichte aufpasse. Weil ich es zeitlich einrichten kann. Weil ich keinen (richtigen) Job habe. Und somit auch kein Büro, in das ich gehen könnte. Meine Freundin hat einen richtigen Job und steigt gerade mit klappernden Absätzen die Treppe hoch, um über die Brücke zur Arbeit zu gehen, aber ich bin vorher abgebogen, sitze vor der Filiale einer Café-Kette, den Hund zu meinen Füßen, und sehe zu, wie der Rest der Welt an mir vorbeiströmt.
Diese Szene fasst mein derzeitiges Dasein ganz gut zusammen. Andere marschieren zielstrebig vorbei, kommen weiter auf dem Weg zu ihrem Job, ihrer Karriere und was sonst noch zu ihrem Erwachsenenleben gehört, während ich vor meinem Kaffee sitze und die wichtigste Aufgabe meines Tages darin besteht, Noggin (den Hund) davon abzuhalten, dass er etwas Ekelerregendes vom Gehweg frisst. Ich bin jetzt dreiunddreißig Jahre alt, und allmählich macht es mir ein bisschen Sorgen, dass ich keinen (richtigen) Job habe – naja, wegen der Zukunft. Klar, von meiner Arbeit als freiberuflicher Designer kann ichim Moment leben, doch vielleicht muss ich ja in absehbarer Zeit eine Familie ernähren. Ich bin ein erwachsener Mann, lebe aber (de facto) noch bei meinem Vater (mein Einstieg in den hochpreisigen Londoner Immobilienmarkt steht aus). Gestern wurde mein Antrag auf Eröffnung eines Bankkontos abgelehnt (heute Morgen in einem Brief bestätigt). Und ich warte weiter auf die Antwort von diesem Personalvermittler, dem ich vor zwei Wochen meine Bewerbung geschickt habe.
Okay, okay – schon klar, verglichen mit vielen anderen bin ich ein reiches Söhnchen mit einem weitgespannten Sicherungsnetz (schließlich könnte ich ja auch für immer und ewig bei meinem Vater wohnen bleiben), was mir meine Freundin in unserem Streit gestern Abendausführlich dargelegt hat. Allerdings hilft es mir in meiner derzeitigen Misere auch nicht weiter, als Scheckbuchhippie bezeichnet zu werden. Auf einem Sicherungsnetz kann man zwar wunderbar ein Weilchen herumhüpfen, aber wenn man im großen Zirkuszelt des Lebens ein sicheres Podest erreichen will, führt nur eine Leiter zum Ziel. Ich sollte inzwischen viel weiter oben sein, wenn ich jemals ein aufstrebender Mann mittleren Alters in komfortablen, gesicherten Verhältnissen sein will. Zumindest sollte ich das Nest verlassen haben und über eine Art geregeltes Einkommen verfügen. Ich bin dreiunddreißig, Mann! Stattdessen … nichts. Und von nichts kommt nichts. Meine Selbstachtung ist auf dem Tiefpunkt.
Ach komm, Thomas, hattest du nicht bereits Erfolg? Eines deiner Projekte (das Toaster-Projekt) wurde vom Victoria and Albert Museum erworben – für unser Land, für die Nachwelt. Um Himmels willen, das ist doch ein Plus! Und für dein Buch über das Toaster-Projekt hast du positives Feedback