Kapitel 1
Mit der Waffe in beiden Händen schlich ich den Flur von Nicks Wohnung entlang. Die Haare in meinem Nacken standen mir zu Berge und meine Nervenenden kribbelten – meine Sinne waren in höchster Alarmbereitschaft, um keinen Hinweis zu übersehen, ob jemand hier war. Bis jetzt war die Wohnung leer. Nichts war passiert.
„Nick“, sagte ich mit gesenkter Stimme über meine Schulter, „hast du deine Schlafzimmertür offen oder geschlossen gelassen?“
„Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich geschlossen.“
Ich presste meine Lippen zusammen. Die Tür vor mir war einen Spalt offen.
Nach einem weiteren Schritt blieb ich stehen. „Bleib an der Wand.“
Hinter mir raschelte es, also schaute ich nicht zurück, um mich zu vergewissern, dass er meiner Bitte nachgekommen war. Stattdessen ging ich weiter auf die Tür zu und lauschte auf jede Bewegung dahinter. Wenn Jesse hier war, könnte er sich in jedem Zustand befinden. Bei Verstand. Launisch. Auf Entzug. Mitten in einem Rausch. Der Junge war sowieso psychisch krank und dazu noch cracksüchtig. Nachdem er Nick in der letzten Nacht angegriffen, ihm die Nase gebrochen und ihn fast erwürgt hatte, war nicht abzusehen, was jetzt in seinem Kopf vorginge.
An der Tür hielt ich einen Moment lang inne und lauschte. Dann stieß ich die Tür mit meinem Fuß auf.
Alles geschah so schnell. So gottverdammt schnell. Er muss ganz still gewesen sein, ganz leise, und ich sah ihn erst, als er die Waffe hob. Bis das Mündungsfeuer mich aufschreckte und im selben Moment zurückstolpern ließ, während das Feuer meinen Arm zerfetzte und ein Schlag von der Kraft eines Eseltritts mich mitten in meine Brust traf.
Nick versuchte, mich zu halten, aber wir gingen beide zu Boden.
Während er sich aufrappelte, hielt ich mir den Oberarm. Es war eine kleine Wunde, ein Streifschuss. Meine Brust schmerzte an der Stelle, an der meine Weste die zweite Kugel aufgehalten hatte, und das Atmen fiel mir etwas schwerer, aber es war nichts Ernstes.
Und Jesse war noch da.
„Geht es dir gut?“ fragte Nick. Sorge und Angst zeichneten sich auf seinem zerschrammten und zerschnittenen Gesicht ab.
„Die Waffe.“ Ich hustete und sprach dann mit zusammengebissenen Zähnen. „Nimm meine Waffe.“
Die Pistole, die ich in den Händen gehalten hatte, war in den anderen Raum gefallen, also nahm Nick den Revolver aus meinem Knöchelholster.
Von der anderen Seite der Türöffnung kam eine hysterische, vertraute Stimme: „O Gott, o Gott, o Gott …“
„Jesse, nimm die Waffe runter“, rief ich. Ich ging auf die Knie. „Jesse …“
„Es tut mir leid, es tut mir leid! Das wollte ich nicht, es tut mir leid!“, kam die schrille, zittrige Antwort. „Das wollte ich nicht, M