: Paul Watzlawick
: Münchhausens Zopf oder Psychotherapie und 'Wirklichkeit'
: Hogrefe AG
: 9783456750217
: 2
: CHF 15.40
:
: Angewandte Psychologie
: German
: 294
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Es gibt viele Wirklichkeiten - wie gehen wir damit um und welche Chancen eröffnen sich uns dadurch? Der Schriftsteller und Psychoanalytiker Watzlawick zeigt uns auf geistreiche und amüsante Weise einen Weg zu mehr Selbstbestimmung Ist es möglich, sich am eigenen Zopf aus dem Morast zu ziehen, wie es Baron von Münchhausen einst tat? Für Laien wie für Fachleute gilt die Wirklichkeitsanpassung eines Menschen als Gradmesser seiner geistigen Gesundheit oder Krankheit. Dies setzt voraus, dass es eine solche objektiv bestehende Wirklichkeit gibt. Und dass sie menschlichem Erkennen zugänglich ist. Was aber, wenn dies nicht der Fall ist? Paul Watzlawick geht in seinem Buch auf diese und andere zentrale Fragen ein und zeigt anhand vieler Beispiele, wie sich alte Weltbilder durch Umdeutungen auflösen und wie neue Realitäten entstehen - und wir uns so am eigenen Zopf aus dem Morast befreien können. Paul Watzlawick würdigt zudem vier Persönlichkeiten, die zu diesem Problem wesentliche Beiträge geleistet haben: den Anthropologen G. Bateson, den Psychiater Don D. Jackson, den Hypnotherapeut Milton H. Erickson und den Bio-Kybernetiker Heinz von Foerster.

Kapitel 2

Der Wandel des Menschenbildes in der Psychiatrie

Aus dem Übergang vom monadischen, introspektiven, retrospektiven, intrapsychischen Ansatz der klassischen Therapieschulen zur systemischen Sicht erwächst auch ein neues Bild vom Menschen.Kapitel 2 versucht, diesen Übergang parallel zur historischen Erweiterung des wissenschaftlichen Weltbildes darzustellen, das, vom antiken Begriff der statischen Materie ausgehend, seine unerhörte Bereicherung durch das Dazukommen der energetischen Sichtweise erfuhr, und in unserer Zeit völlig neue, zusätzliche Dimensionen durch die Einbeziehung des Begriffs der Information annimmt.

In einem 1911 veröffentlichten Lehrbuch erwähnt der Verfasser, einer der hervorragendsten Vertreter der europäischen Psychiatrie unseres Jahrhunderts, den Brief eines Schizophrenen an seine Mutter:

Liebe Mamma! Heute befinde ich mich besser als gestern. Es ist mir eigentlich gar nicht um’s Schreiben. Ich schreibe Dir aber doch sehr gern. Ich kann ja zweimal d’ran machen. Ich hätte mich gestern, am Sonntag, so sehr gefreut, wenn Du und Luise und ich in den Park hätten gehen dürfen. Von der Stephansburg hat man eine so schöne Aussicht. Es ist eigentlich sehr schön im Burghölzli. Luise hat auf den letzten zwei Briefen, ich will sagen auf – den Couverts, nein Briefumschlägen, die ich erhalten habe, geschrieben, Burghölzli. Ich habe aber wo ich das Datum hingesetzt, Burghölzli geschrieben. Es gibt auch Patienten im Burghölzli die sagen Hölzliburg. Andere reden von einer Fabrik. Mann kann es auch für eine Kuranstalt halten. […J Alle Menschen haben Augen. Es gibt auch solche, die blind sind. Die Blinden werden dann von einem Knaben am Arm geführt. Es muss sehr schrecklich sein, nichts zu sehen. Es gibt auch Leute, die nichts sehen und noch dazu solche, die nichts hören. Aber ich kenne auch einige, die hören zu viel. Man kann zu viel hören. Man kann auch zu viel sehen. Im Burghölzli hat es viele Kranke. Man sagt ihnen Patienten. Einer hat mir gut gefallen. Er heißt E. Sch. Der lehrte mich: Im Burghölzli giebts viererlei, Patienten, Insassen, Wärter. – Dann hats noch solche, die gar nicht hier sind. Es sind alles merkwürdige Leute.

Und der Verfasser des Lehrbuchs, Prof. EUGEN BLEULER, führt dazu aus:

Ein nicht schizophrener Briefschreiber würde berichten, was an der Umgebung auf sein Befinden Einfluss hat, was ihn irgendwie angenehm oder unangenehm berührt, oder dann, was den Adressaten interessieren kann. Hier fehlt ein solches Ziel: das Gemeinsame aller Ideen besteht darin, dass sie an des Patienten Umgebung anknüpfen, nicht aber, dass sie Beziehungen zu ihm haben. […] Sind aber auch die ausgedrückten Ideen alle richtig, so ist das Schreiben doch bedeutungslos. Patient hatte das Ziel, zu schreiben, aber nicht, etwas zu schreiben.

Vor 70 Jahren waren diese Schlussfolgerungen zwingend und überzeugend: der Brief ist Ausdruck eines zerrütteten Geistes. Wir Heutige