Kapitel 1
Zugegeben: Nicht jeder versteht, warum ich Hortensien verabscheue. Eigentlich meinte ich, Hortensien zu hassen, aber nach einem Gespräch mit meiner Tochter Hannah war mir klar, dass das so nicht stimmen kann. Ich habe das Gefühl Hass einfach nicht in meinem Repertoire. Das bedeutet nicht, dass ich gefühlsarm bin, aber ich kann mich einfach nicht in solche Auswüchse des Gefühlslebens hineinsteigern. Marianne hatte mir das oft vorgeworfen, sie meinte dann, ich sei so steif, als ob ich einen Stock verschluckt hätte. Sie wollte damit nicht meine Beweglichkeit kritisieren, sondern meine „innere Haltung“, wie sie es ausdrückte. Ich habe mich dann immer gefragt, wie sie mich denn gerne hätte? Sollte ich bei jeder Gelegenheit ausrasten oder mit aller Welt per Du sein? Beides liegt mir nicht. Für einen Polizisten ist das sicher keine schlechte Voraussetzung. Selbst gegenüber Marianne empfand ich keinen Hass, obwohl sie mich eiskalt mit mehreren Liebhabern betrogen hatte.
Hortensien sind es auch gar nicht wert, gehasst zu werden, sie sind einfach zu nichtssagend, ihr Rosa ist zum Beispiel kein richtiges Rosa, sondern einfach nur der geschmacklose Versuch, eine Farbe darzustellen. Das Blau ist kraftlos. Und dann blüht die Pflanze auch noch, als ob sie sich sicher sei, die Schönste zu sein. Kitsch in Pflanzenform.
Als Kind bin ich mit meiner Großmutter oft auf den Friedhof gegangen. Auf dem Dorf wurden die Gräber so gepflegt und betreut wie die heimischen Gärten. Es wurden kein Unkraut und kein Wildwuchs gestattet, und so musste ich häufig bei der Grabpflege helfen. Ich stiefelte dann als sechsjähriger Junge mit halbvollen Gießkannen an den Gräbern der Honoratioren des Dorfes vorbei – mein Großvater gehörte nach Einschätzung seiner Witwe natürlich auch dazu –, und auf jedem Grab, wirklich auf jedem, stand ein riesiger Hortensienbusch. In allen erdenklichen roten, rosa und blauen Schattierungen. Ich fand sie schon damals scheußlich. Friedhöfe und Hortensien, das gehörte in meiner Kindheit so fest zusammen, dass ich anfangs sogar dachte, wenn ich irgendwo in einem Garten einen blühenden Strauch sah, jemand läge darunter begraben. Meine Großmutter flüsterte mir ein, die Blumen würden anzeigen, we