Prolog
Weiß glühend stand die Sonne über dem roten Staub.
In der Leichenhalle herrschten mehr als vierzig Grad Celsius.
Politiker, Offiziere, Honoratioren und Geschäftsleute setzten langsam einen Fuß vor den anderen, hielten einige Sekunden inne und schritten schließlich weiter, geblendet vom gleißenden Mittagslicht und dem Blitzlichtgewitter der Kameras. Den Würdenträgern folgten die Repräsentanten des Volkes, von den Soldaten der kongolesischen Armee in Schach gehalten. Mehr oder weniger schlecht gekleidet, winkten sie dem Bildnis des Verstorbenen mit kleinen Plastikfähnchen zu.
Erwan Morvan fragte sich, was er hier eigentlich tat. Er war zwar hier geboren, hatte aber nichts mit dem Kongo zu tun und erinnerte sich auch an nichts aus seinem Leben, das er hier verbracht hatte, bevor er im Alter von zwei Jahren nach Frankreich gekommen war. Aber sein Vater Grégoire hatte auf seiner Begleitung zur Beerdigung von General Philippe Sese Nseko bestanden, einem »alten Freund« aus Lubumbashi, der Hauptstadt der Provinz Katanga. Erwan hatte zugestimmt, nicht allein aus Gehorsam, sondern auch von einer unerklärlichen Neugier getrieben.
Vater und Sohn Morvan warteten in der nächsten Gruppe der Trauergäste zusammen mit den anderen Weißen darauf, an die Reihe zu kommen. Der Baldachin, unter dem der Sarg stand, erinnerte mit seinen purpurnen Draperien und den vielen Blumen an die Loge einer Diva. Ein Porträt Nsekos im goldenen Rahmen hing über dem Sarg, der mit der Flagge der Demokratischen Republik Kongo bedeckt war – blauer Hintergrund mit einem diagonal verlaufenden roten, goldumrandeten Streifen und einem goldenen Stern links oben. Die Bestatter und die Mitglieder der Blaskapelle trugen eine zinnoberrote Livree. Alles vom Feinsten.
Bei näherer Betrachtung offenbarten sich allerdings ein paar Schwachstellen. Die Uniformen waren schlecht gearbeitet und staubig. Der Baldachin war falsch herum montiert. Die Kapelle traf nicht jeden Ton und beendete jedes Stück mit einem jämmerlichen Quietschen. Als Zimbeln fungierten einfache Blechdeckel.
Das Schlimmste aber war die Hitze. Sie verbrannte jedes noch so kleine Molekül Leben, ließ es brutzeln wie ein Stück Speck in der Pfanne.
Erwan lockerte seine Krawatte. Das Hemd klebte an seiner Haut, und er hatte einen erdigen Geschmack im Mund. Wenn er die Lider schloss, tanzten violette Flecken vor seinen Augen. Zum ersten Mal im Leben fürchtete er, in Ohnmacht zu fallen.
Grégoire neben ihm, einen Meter neunzig groß, die hundertzwanzig Kilo in einen Maßanzug von Ermenegildo Zegna gezwängt, schien die Backofenhitze hingegen nichts auszumachen. Er hielt einen Kranz unter dem Arm, schüttelte Hände, lächelte und schien sogar Tränen zurückzuhalten. Er spulte seine Nummer ohne den geringsten Anflug von Unwohlsein ab.
Erwan betrachtete ihn von der Seite. Sein Vater sah mit seinem markanten, wie von sprühender Gischt geröteten Gesicht wie ein bretonischer Seemann aus. Seine Züge glichen einem Büffel, und er hatte eine griechische Nase. Um seinen Schädel schmiegte sich ein Büschel krauses graues Haar wie eine Kugel aus galvanisiertem Stahl. Erwan ähnelte ihm, war aber eine weniger wuchtige und weniger wilde Version.
»Ali Bongo, der Sohn von Omar«, murmelte Grégoire, als sich ein kleiner Mann dem Sarg näherte.
Erwan kannte sich in afrikanischer Politik nicht gut aus, wusste aber, dass Omar Bongo über vierzig Jahre Präsident in Gabun gewesen war. Ein Diktator, der sich als »unerschütterlicher Freund Frankreichs« bezeichnete und das europäische Land mit Rohöl überschüttete. Sein Sohn Ali war in seine Fußstapfen getreten.
»Der nächste ist Moïse Katumbi Chapwe, Gouverneur der Provinz Katanga.«
Erwan fand, dass sie irgendwie alle gleich aussahen. Dieser da war allerdings Mulatte und trug einen Stetson wie ein Texaner. Nach allem, was man ihm erzählt hatte, war Katumbi ein Paradiesvogel – Millionär, Philanthrop, Präsident eines Fußballvereins und eines der populärsten Mitglieder der Regierung Kabila.
»Richard Muyej, kongolesischer Innenminister. Sehr gefährlich.«
Während des Dinners am Vorabend hatte Grégoire über die neuere Geschichte des Landes gesprochen. Erwan hatte nicht alles verstanden, einige Fakten aber doch behalten. Nach dem Völkermord in Ruanda hatten die Tutsi die Hutu-Milizen bis in den Kongo verfolgt. Sie nutzten d