»Der bestirnte Himmel über mir«
»Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt:der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir.«
Mit diesen schwärmerischen Worten aus derKritik der praktischen Vernunft drückt Immanuel Kant aus Königsberg, der sonst eher rational wirkende und preußisch geprägte Philosoph der Aufklärung im 18. Jahrhundert, ein großes Bedürfnis aus – nämlich das Bedürfnis, den Himmel mit seinen Sternen zu verstehen. Er spannt sich wie ein funkelndes Zeltdach über ihn (und uns) und verleiht seiner (und unserer) Existenz dabei nicht nur ein eindrucksvolles Gewölbe, sondern ermöglicht darüber hinaus dem Menschen durch die nächtliche Sternenpracht das interesselose Erlebnis am Schönen der Natur. Kant spürt bei seinem ästhetischen Wahrnehmen der himmlischen Herrlichkeit, dass von diesem emotionalen Erleben offenbar direkt ein Weg zum moralischen Verhalten von Menschen führt. Der Betrachter der Sterne nimmt wahr, dass die Ästhetik die Mutter der Ethik ist, wie es der Dichter Joseph Brodsky im 20. Jahrhundert formuliert hat und wie wir uns im Verlaufe dieses Buches zu Gemüte führen wollen. Wir werden dann mehr über die wahrhaft immense Größe des Universums wissen, das sich nicht nur nach wie vor ausweitet, sondern dies mit zunehmender Dynamik tut und der Wissenschaft beinahe täglich überraschende neue Erkenntnisse beschert.
Einsichten dieser Art lassen jeden Menschen leicht zu »einem bloßen Punkt im Weltall« schrumpfen, wie es bereits bei Kant im Anschluss an die zitierten Sätze heißt. Der Philosoph stellt dort – wahrscheinlich mit tiefem Bedauern im Herzen – fest, dass die wissenschaftlichen Einsichten in den Kosmos mit der sich dort findenden ungeheuren »Weltmenge« dazu führen, die »Wichtigkeit« einzelner Beobachter zu »vernichten«, was natürlich auch bedeutet, dass sie selbst einen überragenden Philosophen zu einer »Winzigkeit« werden lassen – auch wenn dies niemanden vom Kaliber eines Immanuel Kant von seinen Bemühungen abhält, mehr über das Universum zu erfahren.
Die Freude und das Wissen
Kants ästhetisches Vergnügen am hohen Himmel mit seinen durchziehenden Planeten und funkelnd formierten Sternen erlaubt den Hinweis auf einen der Gründe, aus dem Menschen Wissenschaft treiben bzw. Wissen über die Weiten und Weisen des Wirklichen erwerben wollen. Sie tun dies – dem griechischen Philosophen Aristoteles zufolge –, weil sie Vergnügen an der Wahrnehmung der sinnlich zugänglichen Dinge in der Welt haben, und zu dem Schönsten, das uns dabei geboten wird, gehört die nächtliche Sternenpracht. Es ist keine Frage, dass es zu den primären Freuden der Menschen zu allen Zeiten gehört haben muss, den sichtbaren Nachthimmel mit seinen prächtigen Konstellationen – den Sternbildern – zu genießen und ihnen nachzusinnen. Und wer sich einmal in unseren Tagen dieses Vergnügen gönnt – was in den Städten mit ihrer Straßenbeleuchtung kaum noch möglich ist,